Wie definiert man "Kennenlernen" denn?
Ich würde sagen, dass mich Personen die mich im realen Leben umgeben besser vom Verhalten her kennen. Sie könnten sicher vorhersagen, wie ich mich in bestimmten Situationen benehmen würde und sie könnten versuchen, mich anhand meines Verhaltens zu analysieren und Persönlichkeitsmerkmale festzulegen, wenn es sie denn überhaupt interessiert.
So könnte man meinen, dass ich - wenn ich nicht viel rede - schüchtern bin.
Wenn man mich jedoch über das Internet, sei es ein Blog, ein Forum, ein Messenger, was auch immer, kennenlernt, fehlt einem zwar der Blick für das Verhalten, aber man bekommt etwas fast noch wichtigeres geschenkt: meine Gedankenwelt.
Anhand einiger Postings könnte man so erfahren, dass ich nicht schüchtern bin, sondern einfach keine Lust habe, mit anderen Menschen in näheren Kontakt zu treten. Sowas wissen selbst Freunde nicht von mir, weil ich weiß, dass ich sie damit verletzen könnte. Im Internet hingegen ist man hemmungsloser und kann auch Intimitäten verraten, ohne gleich unten durch zu sein. Man kann eine gewisse Distanz wahren, weswegen es nicht schlimm wäre, ihnen bestimmte Dinge zu erzählen, durch die sie mich besser kennen könnten.
Es kann also sein, dass eine Internetbekanntschaft mein reales Verhalten überraschen würde, weil er aufgrund meiner Einstellung anders erwartet hätte. Aber ebenso würde ein realer Gegenüber mein Innerstes total falsch einschätzen, weil es mit meinem Auftreten inkongruent ist. Soll heißen: Jeder kennt nur Teile von mir und bloß wenn es kombiniert wird, würde ich sagen, dass mich einer kennt.
Beide Parte sind wichtig, aber dennoch würde ich sagen, dass jemand, der meine ehrlichen Gefühle, Gedanken und meine innere Einstellung auch unabhängig von einem Gespräch gelesen hat (im Forum schreibt man ja auch manches für sich), mich schneller kennt, als einer, der nur das zu sehen bekommt, was ich ihm zeige.
Ich würde einige Sachen die ich im Internet schreibe, niemals jemandem persönlich ins Gesicht sagen. Keinem, egal, wie sehr ich ihm vertraue. Die Anonymität des Internets verleiht einem oft den Mut und Schutz, man selbst zu sein, auch wenn das paradox klingen mag. Natürlich gibt es ne Menge schwarze Schafe und Trolle, aber die gibt's auch im echten Leben.
Ist übrigens nur ein dummes Beispiel. Ich hab kein Problem mit Menschen.
).. Ich bin mir zum Beispiel recht sicher, dass ich ihm nicht innerhalb von ein paar Stunden/Tagen erzählt hätte, auf was genau ich stehe,was meine Probleme sind.., aber in ein paar persönlichen Gesprächen hätte er bestimmt mehr über, keine Ahnung, meinen Tagesablauf, meine Pläne, meine Meinung zu vielen Themen erfahren. Wo hätte er mehr über mich gelernt, was ist "mehr", "wichtiger", sagt mehr über mich aus? Ich find diese eigentlich unwichtigen Nebeninformationen genauso wichtig wie geheime Probleme. Ich würde weder behaupten, dass ich jemanden richtig kenne, wenn ich "nur" dieses ganze Zeug von wegen "War gestern im Park, findet Frau X. in dem Pullover scharf" weiß, noch, wenn ich nur über "Steht auf ältere Frauen im Pullover, weil das die einzige Erinnerung an seine Mutter ist"informiert bin. 
