Phreya hat geschrieben:
Kann mir jemand den Unterschied zwischen "abzählbar unendlich viel" und "überabzählbar unendlich viel" erklären? Ist "unendlich viel" nicht immer "überabzählbar / nicht abzählbar"?
Abzählbar unendlich ist die kleinste Unendlichkeit, die es gibt.
Abzählbar unendlich bedeutet, dass man
alle Elemente der Menge in einer
DISKRETEN unendlich langen Liste erfassen kann.
Gelingt es zwischen einer abzählbar unendlich großen Menge A und einer zweiten Menge B eine Bijektion zu erzeugen, d.h. man ordnet wechselseitig
genau einem bestimmten Element der Menge A
genau ein bestimmtes Element der Menge B zu und umgekehrt und erfasst dabei
ALLE Elemente der Menge A und
ALLE Elemente der Menge B, dann ist auch die Menge B abzählbar unendlich groß.
Allgemein gilt, dass
innerhalb derselben Mächtigkeit zweier unendlich großer Mengen stets eine Bijektion gelingt und eine gelungene Bijektion stets der Nachweis dafür ist, dass beide Mengen dieselbe Mächtigkeit haben.
Abzählbar unendlich wird in der Maßtheorie mit
Aleph Null bezeichnet.
Die Menge der Natürlichen Zahlen
N = 1, 2, 3, 4, 5, ... ist abzählbar unendlich groß, also Aleph Null.
Ebenso ist die Menge der geraden Zahlen, also 2, 4, 6, 8, 10, ... abzählbar unendlich groß, also ebenfalls Alpeh Null.
Die Menge der ganzen Zahlen Z, also ..., -3, -2, -1, 0, 1, 2, 3, ... ist ebenfalls abzählbar unendlich groß, also wiederum Aleph Null, denn man kann sie in der Liste 0, 1, -1, 2, -2, 3, -3, 4, -4, ... anordnen.
Interessant ist die Menge der rationalen Zahlen
Q, also Zahlen der Bauart p/q, wobei p eine ganze Zahl ist und q eine ganze Zahl außer der 0.
Mit Cantors
ERSTEM Diagonalargument kann man zeigen, dass die rationalen Zahlen
Q ebenfalls abzählbar unendlich groß ist.
Man ordnet alle rationalen Zahlen in einer Matrix an, wobei die rationale Zahl p/q in der p. Zeile und der q. Spalte steht. Jetzt geht man die Matrix diagonal durch, sodass man erst alle Zahlen aufzählt bei denen p + q = 1 ist, also 0/1 = 0, dann alle Zahlen mit p + q = 2, dann p + q = 3 usw. Zuerst zählt man die positive Zahl auf und dann die negative Zahl. Zahlen, die bereits erfasst sind, überspringt man, wie beispielsweise 2/2, da das bereits bei 1/1 = 1 erfasst wurde.
Damit ist auch gezeigt, dass die Mächtigkeit von
Q eben Aleph Null ist.
Die Mächtigkeit von
N und
Q ist also gleich!
Man sagt, dass die Menge der rationalen Zahlen
Q auf der Zahlengerade dicht liegt, aber obwohl
Q ein Körper ist und die Zahlen dicht liegen, ist die Zahlengerade dennoch "fast" leer. Auf der Zahlengeraden haben innerhalb der reellen Zahlen die rationalen Zahlen die Dichte Null.
Die nächste Erweiterung ist die Menge die rationalen Zahlen und der algebraisch irrationalen Zahlen vom Grad 2, d.h. diese Menge beeinhaltet alle QUADRATwurzeln aus rationalen Zahlen, also 2^0,5 usw. Diese Zahlen kann man mit Zirkel und Lineal konstruieren. Aber auch diese Menge ist abzählbar unendlich.
Die nächste Erweiterung sind alle algebraischen Zahlen, d.h. alle Zahlen, die als Lösungen von Polynomgleichungen f(x) = a* x^n + b * x^(n-1) + c * x(n-2) + ... = 0 vorkommen. Hierzu gehört z.B. 2^(1/3). Diese Zahl kann man also mit Zirkel und Lineal nicht mehr konstruieren, da es die dritte Wurzel von 2 ist.
Auch diese Menge ist abzählbar unendlich, denn man kann sie in einer unendlich langen Liste alle aufzählen, d.h. zwischen den Mengen
N und
A besteht in der Mächtigkeit kein Unterschied, sodass beides Mal die Mächtigkeit Aleph Null gegeben ist.
Versucht man aber nun bei den reellen Zahlen eine unendlich lange Liste aufzustellen, dann scheitert das. Dies wird in Cantorschem
ZWEITEM Diagonalargument gezeigt.
Während das Cantorsche erste Diagonalargument eine direkte Beweisführung ist, ist das Cantorsche zweite Diagonalargument eine indirekte Beweisführung. Bei einer indirekten Beweisführung zeigt man, dass die Annahme des
kontradiktorischen Gegenteils zu einem Widerspruch führt.
Unter Gegenteil ist in der Mathematik stets das kontradiktorische Gegenteil gemeint, also nicht das konträre, korrelative oder komplementäre Gegenteil!
Man tut also so, wie wenn es eine unendlich lange Liste gäbe, auf der man alle reellen Zahlen auflisten kann.
Diese Zahlen schreibt man dann in der Dezimalbruchentwicklung auf.
Egal, wie unendlich lang diese Liste ist, man kann ohne Probleme eine Zahl konstruieren, die sich an der ersten Dezimalstelle hinter dem Komma von der ersten Zahl unterscheidet, an der zweiten Dezimalstelle von der zweiten Zahl, an der dritten Dezimalstelle von der dritten Zahl usw.
Egal, wie unendlich lange man diese Liste macht, es ergeben sich noch unendlich mal mehr als unendlich viele Zahlen, die man nicht aufschreiben kann.
Die Menge der reellen Zahlen ist also überabzählbar unendlich groß, oder mathematisch ausgedrückt Aleph Eins.
Es ist sogar so, dass man eine Bijektion zwischen einer Strecke, einer Geraden, einer Ebene oder einem Raum konstruieren kann, d.h. die Anzahl der Zahlen zwischen 0 und 0,0000000000001 ist ebenso wie die Anzahl der Punkte einer unendlich langen Geraden oder einer unendlich großen Ebene oder eines unendlich großen Raumes jeweils Aleph Eins.
Keine Bijektion kann man erzeugen zwischen der Anzahl der reellen Zahlen und der Anzahl der Funktionen y = f(x).
Die Zahl der Funktionen y = f(x) ist über-über-abzählbar unendlich, also Aleph Zwei.
Hier einige Rechenregeln:
Aleph Null + Aleph Null = Aleph Null.
Aleph Null * Aleph Null = Aleph Null.
Aleph Null + Aleph Eins = Aleph Eins
Aleph Eins + Aleph Eins = Aleph Eins
Aleph Eins * Aleph Eins = Aleph Eins
Nun kann man beweisen, dass es die Mächtigkeiten Aleph Null, Aleph Eins, Aleph Zwei, Aleph Drei usw. gibt, also Aleph k für beliebige natürliche k.
In der nächsten Stufe der Aleph-Funktion betrachtet man die Mengen übergeordneten Mächtigkeitsordnungen der Unendlichkeiten, also Aleph (Aleph Null), Aleph (Aleph Eins), Aleph (Aleph (Aleph Null)) usw.
Normalerweise wird das aber im Gymnasium nicht mehr gemacht. Dafür gibt es eigene Vorlesungen, wie z.B. die Vorlesung für Maßtheorie.
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Ein Hinweis noch zum Kontinuum. Das Kontinuum ist stets überabzählbar unendlich groß. Aber das Kontinuum ist eine hinreichende Bedingung, aber nicht notwendig, um die Überabzählbarkeit zu erreichen.
Diesen Beweis erbringt man mit dem Cantorstaub. Der Cantorstaub hat ebenfalls die Mächtigkeit Aleph Eins, obwohl es kein Kontinuum ist. Deshalb spicht man in der Mathematik in diesem Fall vom Diskontinuum.
Das Diskontinnum ist also eine überabzählbar große Punktmenge von einzelnen Punkten, d.h. auch einzelne Punktmengen können überabzählbar unendlich groß sein!
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Ich kann dir zwei sehr gute Bücher empfehlen, die bei mir zu Hause in der Schrankwand für Mathematikbücher stehen:
Pi - die Story; Jean-Paul Delahaye, Birkhäuser Verlag, ISBN 3-7643-6056-9
Ein absolut großartiges Buch, das ein extrem tiefes Verständnis von der Struktur der Zahlen vermittelt und zahlreiche Bereiche der Mathematik streift. Allerdings überscheitet das Buch in weiten Teilen das Abiturniveau.
Wenn man aber Spaß hat, in die hochabstrakte Welt der Mathematik einzusteigen und sich so fallenzulassen, dass man die normale Umwelt gar nicht mehr wahrnimmt, dann ist das Buch eine Feinschmeckerlektüre.
Pi - Agorithmen, Computer, Arithmetik; Jörg Arndt, Chrstoph Haenel, Springer Verlag, 2. Auflage, ISBN 3-540-66258-8
Auch dieses Buch ist sehr lesenswert, das andere Aspekte beleuchtet. Die Schnittmenge zum ersten Buch liegt bei etwa 50 %. Auch hier wird in weiten Teilen das Abiturniveau überschritten.