"Warum sollen wir aufstehen, wenn der Hahn kräht?"

In Dänemark gibt es einen Verein, der gegen die Tyrannei des Frühaufstehens und für einen anderen Tagesrhythmus kämpft

Obwohl nur noch wenig Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, gilt das Gesetz des Frühaufstehens - auch für Menschen, die Bürojobs haben. Das will Camilla Kring ändern. Sie fordert mehr Flexibilität und glaubt, dass man durch einen natürlichen Rhythmus kreativer wird.

Von Hannes Gamillscheg, Kopenhagen

Frühmorgens sitzen sie mit versteinertem Gesicht in der U-Bahn oder stecken gähnend mit tausenden von Leidensgefährten im Autobahnstau fest. Am Nachmittag das gleiche Gedränge in der Gegenrichtung. Und wenn ihre Lebensgeister am Abend endlich erwachen, heißt es ins Bett zu gehen: Morgen ist wieder ein Arbeitstag, und dann muss man früh raus aus den Federn.

Dieser Tyrannei eines unzeitgemäßen Tagesablaufs will sich Camilla Kring nicht mehr beugen. "Warum sollen wir aufstehen, wenn der Hahn kräht oder die Kühe brüllen, wenn nur noch fünf Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft und in der Fischerei tätig sind?" fragt die 29-jährige Ingenieurin. Darum hat sie für die Morgenmuffel den Verein B-Gesellschaft gegründet, dem nun die Abendmenschen in hellen Scharen zuströmen. Im Dänischen nennt man die freiwilligen Frühaufsteher A-Menschen - daher kommt die Bezeichnung "B-Gesellschaft". "Das öffentliche Leben ist auf die 8-bis-16-Uhr-Leute ausgerichtet", klagt die Vorsitzende. "Wir wollen, dass unsere Lebensform akzeptiert wird und dass man Rahmen schafft, die diese Lebensform unterstützen."

Zwar kann man Kinder schon morgens um sieben Uhr im Kindergarten abliefern, aber wer nach fünf kommt, um sie zu holen, wird als Rabeneltern dem Sozialamt gemeldet. In der Schule geht es spätestens um acht Uhr los. "Die ersten Stunden sind Zeitverschwendung", sagt Camilla Kring, "da können viele noch nichts aufnehmen." Handwerker kommen in aller Herrgottsfrüh und machen schon am frühen Nachmittag blau, und viele Firmen haben immer noch starre Bürostunden, als habe man mit einer Produktion zu tun, bei der alle gleichzeitig am Fließband stehen müssen. Das alles sind Argumente der Mitglieder der B-Gesellschaft.

Laut Studien sind nur 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung A-Menschen, sagt Camilla Kring. 20 bis 25 Prozent sind ausgeprägte B-Menschen mit dem gegenteiligen Tagesrhythmus. Der Rest schwebt irgendwo dazwischen. Die B-Gesellschaft fordert individuelle Lösungen: dass jeder dann arbeiten kann, wenn es seiner inneren Uhr passt und nicht der am Handgelenk. "Die guten Ideen kommen zu allen anderen Zeitpunkten als während der Dienstzeit von acht bis vier", weiß Kring aus eigener Erfahrung. "Die Agrargesellschaft war für die A-Menschen. Die Innovationsgesellschaft ist auch für uns B-Menschen da. In der maschinellen Produktion waren wir voneinander abhängig, heute können wir jederzeit und überall arbeiten."

Der Verein fordert ein B-Zertifikat für Unternehmen und öffentliche Institutionen, damit die Abendeulen sehen können, welche Arbeitsplätze und Ämter auf ihre Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Sie wünschen sich mehr Geschäfte, die abends geöffnet haben. Und zunächst mal ein paar Gymnasien, die um zehn Uhr mit dem Unterricht beginnen. Das würde nicht nur die Lebensqualität der Langschläfer verbessern, sondern auch die der Morgenmenschen, argumentieren die B-Menschen: Da hätten sie in den Stoßzeiten die Straßen und Busse für sich allein, und die anderen kämen ein paar Stunden später. Und in den Behörden wären die Telefonschlangen kürzer, wenn nicht mehr alle gleichzeitig anrufen müssen. "Ein individuellerer Arbeitsrhythmus würde ungeahnte Energien freisetzen und die Wettbewerbsfähigkeit stärken", ist Camilla Kring überzeugt.

Die dänischen Morgenmuffel wollen ihre Idee auch international ausbreiten. In Norwegen ist bereits ein Partnerverein entstanden, und auch die Gleichgesinnten aus anderen Ländern sind herzlich willkommen, sich von der B-Gesellschaft inspirieren zu lassen, sagt die Gründerin. Allerdings erst nachmittags. Vor zwölf hat Camilla Kring nämlich den Telefonbeantworter eingeschaltet.
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