Light-Produkte machen dick
Süßstoffe sollen schlank halten. Doch das ist eine Illusion. Manche Forscher halten Zuckerersatz gar für krebserregend

Von Susanne Donner
Limo light macht dick. Das ist das überraschende Ergebnis einer Studie von Helen Hazuda. Die Medizinerin von der University of Texas in San Antonio hat zehn Jahre lang Menschen verglichen, die Diät- oder normale Limonaden tranken. Ergebnis: Bei den Versuchsteilnehmern, die Cola light und Co tranken, nahm der Taillenumfang um 70 Prozent mehr zu als bei Menschen, die zu Zuckerlimonaden griffen. Eine erschütternde Erkenntnis für alle diätwilligen Light-Trinker. Ob Cola, Marmelade oder Schokoriegel – Produkte mit den Zuckerersatzstoffen Aspartam, Cyclamat, Neotam, Sucralose, Sorbitol, Maltit und Isomalt gibt es in allen Lebensmittelbereichen. Manche Forscher verdammen Light-Produkte gar als gefährlich.

Einst schien ein Ausweg aus dem Süße-Dilemma gefunden. Denn der Zuckerkonsum steigt in vielen Ländern der Welt stetig. In Deutschland liegt er derzeit bei etwa 35 Kilogramm pro Kopf und Jahr, dreimal so viel wie zu Großmutters Zeiten. Mit dem Genuss aber steigt das Risiko für Übergewicht. An Diabetes, Krebs, Herz- und anderen chronischen Krankheiten leiden übergewichtige Menschen weit häufiger als schlanke. Künstliche Süßstoffe schienen die Lösung.

Fragt man die Behörden, scheint die Süßstoffwelt auch in Ordnung. Versuche an Mäusen und Ratten scheinen das zu belegen: Die Tiere bekamen drei Monate lang Wasser zu trinken, welches Süßstoffkonzentrationen enthielt, die dem regelmäßigen Konsum von Light-Produkten bei Menschen entsprechen. Reaktion: Die Mäuse rennen wie eh und je in ihren Käfigen herum. Doch Morando Soffritti vom Krebsforschungszentrum in Bologna kritisiert: "Die Behörden schauen nur, ob Süßstoffe akut schaden. Aber es ist eine andere Frage, ob diese langfristig ungesund sind."

Die US-Herzgesellschaft AHA warnt mittlerweile vor dem Übergewichtsrisiko der Süßstoffe: "Mit Süßstoffen isst man insgesamt mehr als ohne. Die 'leeren' Kalorien werden kompensiert", erklärt Christopher Gardener, einer der Autoren der Stellungnahme. "Nach der Light-Cola zu Mittag verdrückt man am Nachmittag ein Stück Torte." Weil man sich nach dem Diätprodukt ein paar Kalorien extra gönnt.

Und weil der Stoffwechsel danach verlangt. Nach dem Verzehr des meistverkauften Süßstoffs Aspartam etwa steigt der Hunger stark an. Denn vermutlich regen Süßstoffe das Belohnungssystem nicht in gleichem Maß an wie Zucker. Das Sättigungsgefühl stellt sich nicht so schnell ein. Paul Smeets von der Universität Utrecht konnte das belegen: Der Mandelkern – die Region, die über Lust und Hunger wacht – drosselt nach dem Genuss von Traubenzucker seine Aktivität, der Kohldampf lässt nach. Süßstoffe aber befriedigen ihn nicht.

Hiobsbotschaft nach Tierversuchen
Aspartam ist der bestuntersuchte Zuckerersatz. Einige Studien besagen, dass nicht alle Kalorien, die dank Aspartam eingespart werden, später wieder angefuttert werden. Bei fester Nahrung wurden rund 32 Prozent der eingesparten Energie mit anderen Lebensmitteln oder größeren Portionen wieder zu sich genommen. Bei Süßgetränken waren es im Schnitt rund 15 Prozent. Damit bleibt immerhin eine deutliche Reduktion der Energiezufuhr. Aspartam-Konsumenten sollten abnehmen – tun sie aber nicht.

Klar ist: "Wer verlässlich abnehmen will, sollte sich weniger auf Süßstoffe verlassen als vielmehr Sport treiben und auf eine abwechslungsreiche Ernährung umstellen", rät Gardener. "Alle Nahrungsmittel, in denen Süßstoffe enthalten sind, sind Junkfood. Gesund ist das nicht, selbst wenn es einen Hauch weniger dick macht als Junkfood mit Zucker."

Auch Morando Soffritti vom Krebsforschungszentrum in Bologna warnt davor, dass die Ersatzstoffe krank machen können. Schlagzeilen machte er mit einer Hiobsbotschaft: Süßstoff könne Krebs verursachen. Über viele Jahre hat Soffritti Tausende Ratten und Mäuse mit Aspartam im Futter versorgt. Nach dem Tod der Tiere sezierte er sie und entdeckte verschiedene Tumore. Aspartam wird im Körper zu einem Teil zu Methanol umgewandelt, ein krebserregender Stoff. Der könnte für die Geschwüre verantwortlich sein, glaubt Soffritti.

Bei der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) fielen die Daten des Italieners aber komplett durch: Weil seine Tiere alt waren, hält die EFSA die Tumore für alters- und nicht für futterbedingt. Die verwendeten Mäuse seien zudem sehr anfällig für Leber- und Lungenkrebs. Fazit: Der Krebsverdacht ist haltlos. Ähnlich ist die Einschätzung zu zwei Studien, wonach Süßstoffkonsum zu Frühgeburten führen sollen. Aspartam gilt also bis auf Weiteres als sicher.

Sollte man dennoch vorsichtshalber Haushaltszucker nehmen? Doch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor ihm. Sie will den Richtwert halbieren: Nur noch fünf Prozent der täglichen Energiezufuhr sollen nach dem Willen der WHO über Zucker gedeckt werden, auch Honig und Fruchtsaftkonzentrate werden eingerechnet. Mehr als sechs Teelöffel oder 25 Gramm Zucker sind demnach ungesund.

Das ist wenig: Schließlich lauert die süße Verführung überall: in Säften, Joghurt, Kuchen, Snacks. "Wenn man all das zuckrige Zeug aus den Supermärkten entfernt, bleibt nur noch ein Zehntel übrig", sagt Simon Thornley, Biostatistiker an der University of Auckland (Neuseeland). Seiner Erfahrung nach bringen es die meisten Menschen auf 40 Teelöffel Zucker pro Tag. Wer so viel isst, wird dick, der Blutdruck steigt, die Bauchspeicheldrüse leidet, und das metabolische Syndrom setzt ein – die Vorstufe zur Diabetes. Auch die Gefahr von Herz-Kreislauf-Leiden wächst. Am schlimmsten sind Softdrinks, sagt das Deutsche Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Das belegten 83 Prozent der Fachartikel zum Thema – sofern die Studienautoren kein Geld von der Zuckerindustrie bekamen. Über 80 Prozent der Forschung, die über solche Gelder finanziert wurde, befand, dass die süßen Getränke nicht dick machen. Mit der Unabhängigkeit der Forschung ist es also nicht weit her. Thornley wundert das nicht: "Die Zuckerindustrie ist so mächtig wie die Ölindustrie."

Ähnliche Wirkung wie Alkohol
Vielleicht schadet Haushaltszucker auch auf anderem Wege: Nach einer Naschorgie zirkulieren mehr Entzündungssubstanzen im Blut. Diese bahnen wiederum der Zuckerkrankheit den Weg. Ein weiterer Verdacht: "Zucker macht süchtig", sagt Thornley. "Wenn man einer Naschkatze die Süßigkeiten wegnimmt, ist sie unkonzentriert und denkt ständig daran, wie sie an den Stoff kommt. Typische Zeichen einer Abhängigkeit." Der süße Geschmack spricht im Gehirn die gleichen Belohnungssysteme wie Alkohol an. Die US-Biologin Julie Mennella fand heraus, dass Kinder aus problematischen Familien mehr Zucker brauchen als Kinder aus harmonischen Elternhäusern. Kinder, deren Eltern Alkoholiker waren, löffelten sich bis zu vierzehn Teelöffel in ein Glas Wasser – doppelt so süß wie handelsübliche Cola.

Wenn es nach dem Neuseeländer Thornley ginge, gäbe es ein radikales Verbot von Süßigkeiten an Schulen. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran. Seit fünf Jahren meidet er Süßes und gönnt sich maximal einen Teelöffel Zucker am Tag. "Am Anfang war es richtig hart. Aber dann fühlt man sich wie neugeboren." Süßstoffforscherin Helen Hazuda stimmt ihm zu. Zumindest auf Limonaden, ob mit Zucker oder Süßstoff, solle man verzichten. "Klug wäre es, einfach Wasser zu trinken."

Quelle: http://www.morgenpost.de/printarchiv/wi ... -dick.html