Dunkle Nächte.
Seitdem er fort war, hatte ich angefangen, die Dunkelheit zu lieben. In ihr fühlte ich mich sicher, so sicher, wie ich mich sonst nur bei ihm gefühlt hatte. Und während die langen, dunklen Finger langsam durch die Straßen glitten und alles verschluckten, nicht mal vor den Häusern haltmachten und dabei jede Sicherheit von den Menschen stahl und sie in Angst und Schrecken versetzte, breitete ich lächelnd meine Arme aus und empfing sie freudestrahlend in der Eingangshalle meines, nein unseres Hauses. Denn wenn die Dunkelheit da war, war er auch wieder da. Ganz nah bei mir und ich konnte mich, glücklich und zufrieden in seine Arme schmiegen. Bei Tageslicht gelang mir das alles nicht. Da fühlte ich mich plötzlich wieder alleine, als gäbe es keine anderen Menschen mehr auf der Welt. Nur mich und dieses schreckliche Tageslicht. Zu dieser Zeit wurde mir jedes Mal erneut bewusst, dass es kein wir mehr gab, dass er gegangen und mich allein gelassen hatte, obwohl er mir versprochen hatte, immer für mich da zu sein. Gut, dachte ich. Nachts war er das ja auch, aber was war mit dem Rest der Zeit? Da ließ er mich einfach wieder alleine mit meinen Gedanken und dieser schrecklichen Einsamkeit, die mich langsam, aber sicher von innen auffraß. Ich konnte die Erinnerungen einfach nicht abschütteln. Immer wieder versuchte ich es, durch irgendwelche Aktivitäten pder Aktionen auf andere Gedanken zu kommen, doch diese Versuche scheiterten. Jedes Mal. Immer und immer wieder. Es gelang mir zwar, für einige Sekunden, doch dann kamen sie wieder und schlugen nur noch stärker auf mich ein. In diesen Momenten sah ich ihn wieder ganz deutlich vor mir. Ich erinnerte mich daran, wie ich den kleinen pinken Zettel auf meiner Bettseite gefunden hatte, mit ein paar dahin gekritzelten Zeilen und wie ich, als ich ihn gelesen hatte und die Bedeutung der Worte registriert hatte, gleich losgerannt war. Es waren nur ein paar Worte gewesen, kein Wort zu viel und doch wusste ich, wo ich ihn finden würde. Während ich rannte, achtete ich nicht auf den Weg und nicht auf die Leute, die mir irgendwelche Schimpfwörter hinterher riefen, weil ich sie fast über den Haufen rannte. Ich lief schnurstracks zu dem einzigen Hochhaus, dass es in dieser Stadt gab. Ich wusste, dass er diesen Weg wählen würde, um dem Himmel näher zu kommen. Alles andere war ihm zu aufwendig. Wir hatten oft über solche Themen gesprochen und da das Hochhaus neben der Kirche das höchste Gebäude hier war, wusste ich, dass ich ihn nur dort finden konnte. Als ich oben ankam, hatte ich Glück, dass er überhaupt noch oben stand und nicht schon längst gesprungen war. „Bitte, Schatz. Bitte, bitte, bitte tu mir das nicht an.“ Ich hatte ihn angefleht, hatte mich sogar vor ihm auf die Knie geworfen und wusste doch, dass es keinen Sinn hatte. Daraufhin hatte er sich umgedreht, sah mich ein letztes mal an und wagte es auch noch zu lächeln, mit Tränen in den Augen. Dann sah ich, wie er sich langsam vornüberbeugte, den Boden unter den Füßen verlor und fiel. Ich rannte dorthin, wo er eben noch gestanden hatte, nur mit etwas Sicherheitsabstand und brach in mich zusammen. Ich schrie, schrie so laut ich konnte um seinen eigenen Schrei während er fiel zu übertönen. Ich wollte es nicht hören. Seine Angst und seinen Schmerz während er dem Tod in die Arme fiel. Aber so leicht würde er mich nicht los werden können, dachte ich während mich plötzlich jemand hochzog und mich in die Arme nahm. Jemand musste wohl die Polizei gerufen haben. Auf die Fragen der Polizei hatte ich nur halbherzig geantwortet, den Rest hatte meine Schwester übernommen. Sie war es auch gewesen, die mich in den Arm genommen hatte. Ich wusste nicht, wieso sie auf einmal da war, aber ich war ihr so unendlich dankbar dafür gewesen. Mir war von diesem Augenblick an alles egal. Doch dann hatte ich festgestellt, dass er nachts wieder bei mir war und mich nicht ganz allein gelassen hatte und das hatte mir ein bisschen Hoffnung gegeben. Doch diese Hoffnung hielt nicht lange an. Nach einiger Zeit spürte ich ihn selbst in der Dunkelheit nicht mehr. Nun war er wirklich komplett von mir gegangen. Und ohne ihn, so wirklich ganz ohne ihn konnte ich nicht leben. Ich hatte es versucht, hab versucht mich abzulenken, doch diese Versuche scheiterten. Ohne ihn fehlte einfach etwas. Irgendwas war von mir abgebrochen, irgendwas hatte er von mir gerissen und mit genommen. Ich wusste nicht, was es war, ich wusste nur, dass ich es brauchte, um ohne ihn leben zu können und das es mir niemand mehr zurück geben konnte. Der Tod riss jeden Tag an mir, zog mich immer näher zu sich heran. Selbst wenn ich mich dagegen wehren wollte, ich hätte nicht die Kraft dazu gehabt. Und so verließ ich in jener Nacht das Haus, hinterließ nichts als einen Abschiedsbrief mit ein paar Zeilen darauf und ging langsam und mit einem verschleierten Blick zum Hochhaus. Als ich oben stand, wo er noch vor ein paar Monaten gestanden hatte, schaute auch ich noch einmal zurück und lächelte. Aber mit dem kleinen Unterschied, dass bei mir niemand mehr dort stand und versuchte, mich zurück zu halten. Und dann ließ ich mich fallen, fallen in die sicheren Arme des Todes. Fallen, zurück zu ihm.
Zuletzt geändert von Brexpiprazole am Mo 2. Mär 2015, 23:07, insgesamt 2-mal geändert. |
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