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Männlich 
BeitragVerfasst: So 18. Nov 2012, 23:00 
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Registriert: Do 2. Feb 2012, 19:56
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 Betreff des Beitrags: Weihnachtsgeschichte: Solidarität

SOLIDARITÄT

Sie klammerte sich verzweifelt an das letzte Weihnachten. Ach, wie war das schön. Ihr Ehemann Peter, sie, Claudia und ihre kleine vierjährige Tochter Janina feierten Wehnachten. Eine glückliche dreiköpfige Familie. Friedlich saßen sie zusammen; es gab keine Familienfehde; die Tochter Janina entwickelte sich prächtig. Eine dreiköpfige solidarische Familie wie aus dem Bilderbuch.

Janinas Augen strahlten, als sie unter dem Weihnachtsbaum sitzend ihr Geschenk auspackte. Ihr sehnlichster Wunsch war in Erfüllung gegangen. Überglücklich umarmte sie ihre Eltern, als sie das funkelnagelneue Puppenhaus sah. Sie spielte den ganzen Abend bis sie in den Armen ihrer Mutter einschlief und diese die kleine Janina behutsam in ihr Kinderzimmer trug.

Alles war wunderbar bis zu diesem unglückseligen Märztag 3 Monate später, als ihr die Ärzte eröffneten, dass Janina chronische Leukämie im Endstadium hat und nur noch wenige Monate zu leben hat. Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Die folgenden Wochen gestalteten sich sehr schwer. Nur noch wenige Monate würde Claudia Janina in ihren Armen halten können. In stundenlangen Diskussionen mit Peter wurde Für und Wider abgewogen Janina zu sagen, dass sie nie wieder Weihnachten erleben kann. Dabei hat sie sich doch so sehr auf das nächste Weihnachten gefreut. "Dann wird das so schön wie letztes Jahr!" meinte Janina mit strahlenden Augen. Im Sommer teilten die Ärzte Peter und Claudia mit, dass Janina mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Weihnachten mehr erleben wird können. Noch nicht einmal ein letztes Weihnachten wird ihr vergönnt sein.

Wütend knallte Peter seine Faust auf den Tisch: "Wenn Janina schon im Alter von 5 Jahren gehen muss, dann wird sie wenigstes einmal Weihnachten noch erleben müssen und dürfen, verdammt noch mal!"
"Was machen wir denn bloss?" heulte Claudia verzweifelt. "Sie schafft es nicht mehr!"

Im Laufe der nächsten Tage gewann der Trotz der beiden über die Ohnmacht die Überhand. "Wie werden Weihnachten und die gesamte Adventszeit komplett genau zwei Monate vorverlegen!" beschlossen sie. Janina WIRD noch einmal Weihnachten erleben dürfen!

"Was sagen wir denn den Nachbarn, wenn wir die Adventszeit im Oktober feiern?", fragte Claudia ihren Mann.
"Was sagen wir denn Janina, wenn es bei diesem Weihnachten keinen Christkindelsmarkt gibt?", fragte Peter.
"Was sagen wir denn Janina, wenn es bei diesem Weihnachten keinen Weihnachtsschmuck an den Geschäften gibt?", fragte Claudia.
"Vielleicht verlegt in dieser Ausnahmesituation unser ganzes Dorf Weihnachten mitsamt der Adventszeit zwei Monate vor?", meinte Claudia.
"Niemals. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass in unserer Ellenbogengesellschaft es noch ein Mindestmass an Solidarität gibt!", meinte Peter.
"Wenigstens fragen kann man!", entschied Claudia.
"Ich gehe morgen zum Bürgermeister und zum Gemeinderat.", antwortete Peter.

Ein paar Tage später ging es im Gemeinderat von Bergeshausen hoch her.

"Nur weil ein Kind zu früh stirbt, können wir doch nicht alle Feierlichkeiten zwei Monate vorverlegen. So eine Schnapsidee, habe ich ja noch nie gehört.", lachte ein Gemeinderat.
"Schämen Sie sich eigentlich nicht, nur in Fomalia zu denken?" erwiderte ein anderer Gemeinderat.
"Mein Gott, seien Sie doch nicht so sentimental; täglich sterben tausende Kinder auf der ganzen Welt, die kein Weihnachten mehr erleben können.", meinte ein anderer.
"Was kostet uns das denn zusätzlich?" fragte einer.
"Sie denken doch nur an das Geld!" rief ein anderer empört.
"Es muss schliesslich auch alles finanziert werden!" baffte dieser zurück.
"Hierfür bräuchten wir doch eine Genehmigung vom Innenministerium." meinte ein anderer. "Wir können das doch gar nicht entscheiden!"
"Laut Auskunft der Rechtsabteilung, kann die Gemeinde in kommunaler Selbstverwaltung die Feierlichkeiten zwei Monate vorverlegen, soweit es die Angelegenheiten der Gemeinde Bergeshausen anbetifft. Hierfür ist lediglich ein Gemeinderatsbeschluss notwendig!" antwortete der Bürgermeister.

Stundenlang diskutierten die Gemeinderatsmitglieder. Die Zuschauertribühne, die bei Gemeinderatssitzungen sonst gähnend leer ist, war bei dieser Gemeinderatssitzung ausnahmsweise brechend voll. Man konnte das Gefühl haben halb Bergeshausen hätte sich im Rathaus versammelt. Peter und Claudia verfolgten gebannt die Debatte im Zuschauerraum.

Nach 5 Stunden stellte ein Gemeinderatsmitglied erschöpft einen Geschäftsordnungsantrag: "Ende der Rednerliste und Ende der Debatte!"
Der Geschäftsordnungsantrag wurde angenommen und unmittelbar danach über den Antrag, sämtliche Weihnachtsfeierlichkeiten des Jahres 2012 um genau 61 Tage vorzuverlegen, abgestimmt.

Im 12-Köpfigen Gemeinderat der 1500 Einwohnergemeinde Bergeshausen wurde schliesslich mit 7:5 Stimmen entschieden, Weihnachten 2012 auf den 24.-26.10.2012 vorzuverlegen. Die Adventszeit wurde entsprechend angepasst und fiel in den Oktober. Ab dem 27.10.2012 sollten alle Weihnachtsutensilien abgebaut werden.

Nach der Entscheidung des Gemeinderates schüttelte der gesamte übrige Landkreis über die Gemeinde Bergeshausen den Kopf, was aber dazu führte, dass nun auch die Bergeshausener, die zuvor gegen eine Vorverlegung waren, umschwenkten. Vom Landkreis lassen wir uns erst recht nichts vorschreiben!", meinten nun auch sie. Durch den Ort schwappte nun eine unglaubliche Welle der Soldarität. Alle wollten mitmachen. Im September begann der Aufbau des Weihnachtesbaums; die Holzbuden für den Christkindelmarkt wurden ebenfalls aufgestellt. Die meisten Händler konnten durch eine Umorganisation erreichen, dass sie ihre Ware in gewohnter Art anbieten konnten. Rechtzeitig zum ersten Advent war alles fertig.

Nach anfänglichem Zögern zogen nun alle Bergeshausener mit; sie schmückten nun ihre Häuse mit Weihnachtssternen; es war sogar so, dass viele Menschen, die sonst nie Weihnachten feierten im Oktober auch mitmachten, um Janina ein schönes Weihnachtsfest zu ermöglichen. Weil die Menschen sich nun in ihrer Solidarität für Janina übertrumpfen wollten, stieg der Umsatz des Weihnachtsmarktes gegenüber dem Vorjahr beträchtlich. Auch aus den Nachbarorten kauften viele Leute auf dem Bergeshausener Weihnachsmarkt ein um ihre Solidarität zu Janina und Bergeshausen zu bekunden.

Derweil waren Peter und Claudia zwischen Glück und Frust hin- und hergerissen. Hunderte Menschen kamen und gaben für Janina Weihnachtsgeschenke ab, die sie am 24. Oktober auspacken sollte. Inzwischen wurde aber auch in der Presse in ganz Deutschland über das Schicksal der kleinen Janina und den um zwei Monate vorverlegten Weihnachten berichtet. Egal, wohin Peter und Claudia mit der kleinen Janina gingen; auf Schritt und Tritt wurden sie nun von Journalisten, Reportern und Kamerateams begleitet. Politiker wurden nicht müde zu betonen, wie nahe ihnen das Schicksal der kleinen Familie ginge und instrumentalisierten die Familie für ihre Wahlkämpfe. Der Bergeshausener Weihnachtsmarkt platze völlig aus allen Nähten, wenn die drei einen Bummel machten. Wollte Claudia Janina vom Kindergarten abholen, dann musste sie sich durch einen Pulk von Journalisten durchkämpfen.

"Wie fühlen Sie sich?"
"Was sagen sie dazu, dass alle Menschen in Bergeshausen nur wegen Ihnen Weihnachten 2 Monate vorverlegen?"
"Macht die gewaltige Anteilnahme der Menschen Sie glücklich?"

Janinas Kindergärtnerin gab Interviews nur noch gegen Bezahlung und steckte sich das Geld der Verlage in die eigene Tasche. "Jeder ist sich selbst der Nächste!" meinte sie. Diejenigen, die sie jetzt am heftigsten kritisieren würden, seien die größten Heuchler, weil sie an ihrer Stelle noch viel härter abkassieren würden, so ihr Credo. Ein Neider wies das Finanzamt darauf hin, darauf zu achten, die Verdienste von Janinas Kindergärtnerin bei der nächsten Einkommensteuererklärung zu überprüfen.

"Ich kann nicht mehr!", weinte Claudia abends in den Armen ihres Mannes und vor Janinas Augen.
"Warum weinst du?" fragte Janina sie und sah sie mit ihren großen sanften freundlichen Augen an.
"Ach, es ist alles gut, Schätzchen!" meinte Claudia und umarmte Janina, während ihr in Strömen die Tränen aus den Augen kamen.

Am 24. Oktober - Heilig Abend - kam dann die gesamte Dorfgemeinschaft, um Janina schöne Weihnachten zu wünschen. Janina wurde überhäuft mit Geschenken; die Fernsehteams standen in der ganzen Wohnung herum und überall blitzten die Fotoapparate. Die Besucher drängelen sich und schubsten, weil jeder ins Kamerabild wollte, um zu zeigen wie er Janina beschenkt.

Janina war inzwischen viel zu erschöpft um mitzubekommen, warum so ein Trubel ist. Mehrmals schlief sie Heilig Abend in dem Trubel ein.

In ganz Deutschland wurde berichtet, dass in Bergeshausen am 24. Oktober Weihnachten ist und Janina der glücklichste Mensch sei.

Am 27. Oktober, als der ganze Weihnachtsrummel vorbei war und sich kein Journalist mehr für die Familie interessierte, starb Janina mit einem sanften Lächeln einsam in den Armen ihrer Mutter.


Zuletzt geändert von Der_Pate am Mo 19. Nov 2012, 10:14, insgesamt 3-mal geändert.
Grund: Doch nicht in den Adventskalender :)


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Männlich 
BeitragVerfasst: So 18. Nov 2012, 23:06 
Pinkie Pie
I estava bé!
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Minibildchen

Registriert: Di 31. Jan 2012, 17:49
Beiträge: 17035
Punkte: 21

Danke gegeben: 3641 mal
Danke bekommen: 2265 mal

Es gibt einen Weihnachtsgeschichten-Wettbewerb...? :unsure: :laugh: :laugh:

______________________
»Was kostet die Welt?«

»Oh. Dann ne kleine Limo, bitte!«


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Weiblich 
BeitragVerfasst: So 18. Nov 2012, 23:30 
Gesperrt
Blumengöttin
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Registriert: Di 31. Jan 2012, 16:57
Beiträge: 4510
Punkte: 50

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Der_Pate hat geschrieben:
Es gibt einen Weihnachtsgeschichten-Wettbewerb...? :unsure: :laugh: :laugh:

Cool, davon wusste ich gar nichts!

______________________
"Ah, distinctly I remember it was in the bleak December,
And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor."

http://sternschnuppenkind.blogspot.de/


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