
rockdog hat geschrieben:
Eine Frage an die Gegner der Waffenlieferungen in die Ukraine:
Wie soll es ein Land schaffen, sich eine möglichst günstige Ausgangsposition für friedensverhandungen zu schaffen, wenn ein Aggressor es überfälllt und einen Krieg beginnt?
Ich finde die Idee, nicht mehr täglich 60 Millionen Euro an Putin zu überweisen, immer noch gut (bzw. wenigstens einen Test wert), auch wenn das unseren eigenen Lobbies temporär schaden wird. Siehe meinen vorletzten Post hier.
Tbh, ich bin nicht mal so extrem gegen kurzfristige Waffenlieferungen an eine verteidigende Partei an sich (die Waffen kommen halt erfahrungsgemäß gerne in die falschen Hände dann - der Islamische Staat schießt primär mit Heckler & Koch), mein Problem ist eher dieses zeitgleich durchgeführte, klassische "Wir haben nichts versucht und jetzt gehen uns die Ideen aus", das große Teile der Bevölkerung auch bereitwillig fressen.
Es wird sehr energisch so getan, als wäre das die einzige Möglichkeit. Ich hab zur Verteidigung des aktuellen Vorgehens jetzt mehrfach Zeug in der Art von "Was soll man denn sonst machen?" gehört. Bzw., was noch dämlicher ist, wenn du auch nur im Ansatz irgendwas gegen die Waffenlieferungen sagst, wird dir ganz gerne mal unterstellt, dass du pro Putin wärst. Das ist ein Effekt, an dem man ganz gut beobachten kann, wie reibungslos weiterhin politische Propaganda funktioniert. Die Techniken sind 1945 ja nicht plötzlich verschwunden.
Klar, diese Fraktion gibt es aber auch. ThomasKs Hintergrund zu "Keine Waffenlieferungen" ist ja ganz anders als meiner, auch wenn wir beim gleichen Schluss ankommen. Er will sich einfach komplett raushalten, um die deutsche Wirtschaft so weit wie möglich zu schützen; seine Lösung ist ja, dass die Ukraine an Putin übergeben wird. Da bin ich nicht dabei.
Ich war schon vor nem Monat pro Embargo als Primärlösung, da stehen ja auch tatsächliche Putin-und Wirtschaftsexperten dahinter. Das Ding ist auch, dass das verdammt
schnell gehen würde, weil das Putin realen Druck macht. Der Krieg in der Ukraine kann sich potentiell noch Monate ziehen, irgendwie scheint das vielen nicht klar zu sein.
Mittlerweile gibt es die Embargo-Forderung auch aus dem Mainstream, ich hab das auch bereits von z.B. Greta Thunberg gesehen. Immerhin. Gibt mittlerweile sogar wirtschaftsfreundlichere Entwürfe dazu:
https://www.focus.de/politik/ausland/uk ... 53099.htmlMan muss aber auch sagen, dass der aktuelle Krieg in der Ukraine eine geopolitisch sehr komplexe Situation ist. Man hätte schon deutlich früher was tun sollen. Das zu sagen ist auch nicht zynisch, die Lektion lässt sich auf diverse andere Situationen, die noch nicht derartig eskaliert sind, übertragen. Ich hab neulich woanders den Umgang mit Diktatoren angerissen:

Brexpiprazole hat geschrieben:
Ein Grund dafür, wieso Putin so viel Macht hat und tun kann was er jetzt tut, ist ja auch, dass Diktatoren noch immer auf sämtlichen Gipfeltreffen und dergleichen wie ganz normale Anführer eines normales Staates behandelt werden. Klar gibts hier und da mal ne kleine Sanktion, aber generell wurde mit Putin ja auch von allen Merkel-Kabinetten immer freundlich umgegangen, obwohl jeder wusste, dass in Russland Journalisten und LGBT-Personen in Arbeitslager gesteckt werden. Auch Xi Jinping trifft sich ganz normal mit demokratischen Anführern, schüttelt Hände und spricht über wirtschaftliche Vorhaben als wäre er nicht quasi ein Cartoon-Schurke.
Es gibt durchaus Möglichkeiten, wie man Diktatoren schon vor nem totalen Krieg nen Stock zwischen die Räder klemmen kann. Einer der größten Feinde der demokratischen Grundordnung sind momentan ja auch diverse rechtsextreme Verschwörungstheorien; viele Bürger sehen Putin ja noch immer als einen Retter, der den linksgrünen Westen wieder zur Vernunft bringen kann. Ähnlicher Kult wie mit Trump, weird shit. Ich kenne ne deutsche Oma, die damals unter jeden von Trumps Facebook-Posts irgendwas in der Art von "President Trump please save us from Merkel's deep state, lots of love from Germany" geschrieben hat.
Das bricht sich essentiell auf die Feststellung runter, dass die deutsche Bundesregierung schon vor Jahren damit hätte aufhören sollen, ganz normal mit Putin zu handeln und zu verhandeln. Aber bis die Politik diesen Umstand anerkennt und sich da in irgendeiner Hinsicht eine Schuld zuspricht, darauf wirst du lange warten können.
Ich mein, wie geht es mit Russland weiter? Ich hielt die Gerüchte um Putins schlechten Gesundheitszustand schon seit 2020 für recht realistisch, es scheinen dafür immer mehr Beweise reinzukommen mittlerweile. Wer wird sein Nachfolger, Patrushev? Der wäre halt durchaus noch schlimmer als Putin. Würden Scholz & Co. sich dann, wenn der akute Krieg zuende ist, wieder ganz normal mit dem treffen und Hände schütteln? Darauf kannst du sowas von wetten.
Wäre es nicht besser, der russischen Regierung einfach so lange die Mittel zu entziehen, bis der Staat deutlich an Macht und Einfluss verliert und der Raum für Demokratie entsteht? Es existieren ja viele Russen die das wollen und unter Einsatz ihres Lebens dafür protestieren. Kasparov wollte 2008 zur Wahl antreten und ist seither im Exil. Wann hatten die Russen zuletzt Demokratie? Unter Gorbachev ging es in eine gute Richtung. Ansonsten, noch nie?
Man muss hier auch langfristig denken. Wir sind mittlerweile recht weit im 21. Jahrhundert drin; wir müssen dringend aufhören, unsere Hände und unser Geld an Diktatoren zu reichen, sonst wird das alles hier nicht mehr sehr lange so weitergehen. Ganz ehrlich, es werden keine Aliens aus dem All kommen, die der Menschheit Frieden aufzwingen. Das müssen wir selbst machen. Und, so platt das auch klingt, Panzer und Raketenwerfer sind dafür nicht der
beste Weg. Aber ja, wir können mit voller Absicht auf ne Welt zusteuern, wo es der
einzige Weg ist, und uns dann für unsere Problemlösungsstrategien auf die Schultern klopfen, weil wir die einzige Lösung schnell gefunden haben.
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Olaf Scholz hat neulich ne Rede gehalten, wo er den Gegnern der Waffenlieferungen Zynismus unterstellt hat. Diese Rede enthielt:
"Ich respektiere jeden Pazifismus und jede Haltung. Aber..."Lass mich hier mal Nostradamus sein - ich sehe eine potentielle Zukunft, in der das rückblickend eine der zynischsten Aussagen war, die je ein Politiker offen gemacht hat, auch weil sie sehr kurz vor bisher ungesehen Folgen getätigt wurde. "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" könnte dagegen verblassen.
Hier ist ein netter Heise-Artikel über die Entwicklung der letzten paar Wochen, wie die deutsche Politik es erfolgreich geschafft hat, Deutschland volle Kante in den Konflikt zu zerren und diesen dadurch zu verlängern:
https://www.heise.de/tp/features/Keine- ... ?seite=allIch stimme da nicht mit allen Schlussfolgerungen überein, geht mir v.a. um die Reihenfolge der Ereignisse.
Die Partei bzw. Martin Sonneborn selbst haben in letzter Zeit mehrfach gegen die Grünen gefeuert, und dadurch extrem an Popularität verloren. Bisschen traurig; lustig machen darf man sich laut vieler Leute auf der linken Seite wohl nur über die üblichen Verdächtigen - AfD & Konsorten. Ich fand grad das mit der CDU hier sehr treffend:

Die Grünen hatten letzten September (!) noch geworben mit "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Krisengebiete". Dafür gab es Stimmen, so einige.
Das ist aber nicht das merkwürdigste daran; das merkwürdigste ist dass Leute, die die Grünen im September gewählt haben, die Grünen aktuell teilweise
nochmal wählen. Stellenweise ist das frustrierender als sich AfD-Wähler anzuschauen; jemand, der die Grünen wählt, sollte ja eigentlich zumindest wissen, welche Probleme und Prinzipien relevant sind.
Ich frag mich bei sowas weiterhin manchmal, ob ich zusammen mit einer Armee an Muppets in meinem Land wohne.