rockdog hat geschrieben:
nur wenige kurze Zitate, ich gebe zu nicht im Zusammenhang zitiert, aber schon diese Teilaussagen sind für mich inakzeptabel-
Lied: kopfschuss: Was früher die Gestapo war ist heut das BKA
Kein Gerede: Noch ein Aufruf zur Revolte, noch ein Aufruf zur Gewalt, viel zu lang gabs Unterdrückung steinigt diesen Staat
RAF: ich wollte nie en Bulle sein, denn Bullen sind nur Dreck. Ich war viel lieber Terrorist und bombte alles weg..
Ich hatte ja damals schon darauf reagiert, aber man muss schon irgendwie sagen, dass die Mischung recht wild ist. Teilweise offensichtlich und konkret gewaltverherrlichend, da hatte ich dir damals zugestimmt, teilweise aber auch einfach nur Kritik an der Polizei, was... irgendwie nicht vergleichbar ist, weil das wiederum, im Gegensatz zu Aufforderungen zur Gewalt, ja durch die Verfassung geschützt ist.
Als ich das erste Zitat vorhin nochmal gelesen hatte, musste ich dran denken, dass es über sowas erst vor Kurzem einen medialen Eklat gab.
Manuel Ostermann, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft (der quasi den ganzen Tag über gefühlt nichts anderes macht, als auf Twitter verbal Minderheiten und politische Gegner zu attackieren), hatte aus dem Nichts, wirklich ohne vorherige Provokation, Bodo Ramelow angegangen als "Führenden Genossen der SED-Nachfolgepartei".
Ich mein, okay, der Punkt mit der SED ist ja im Kern einfach wahr. Wer austeilen kann, kann dann aber auch einstecken, oder?
Jetzt mal abgesehen davon, dass Polizisten eigentlich dem Grundgesetz verpflichtet sind und überparteilich handeln
müssen. Irgendwie interessiert der Punkt echt eh keinen.
Der Journalist Stephan Anpalagan (schreibt viel über Extremismus und damit verbundene Themen) reagierte dann mit "Vielleicht sollte ein Mitglied der Gestapo-Nachfolgeorganisation kleinere Brötchen backen" - und dann brach absolut die Hölle los, Ostermann zeterte und schrie und stampfte die nächsten Tage über nichts anderes mehr als über diese himmelschreiende, bittere Ungerechtigkeit, die ihm da widerfahren war. Rechtliche Schritte wurden eingeleitet, und so weiter.
Diverse konservative Presse-Organe stellten sich dahinter, und stellten das Ganze völlig verzerrt dar - als hätte Anpalagan aus dem Nichts alle Polizisten angegriffen ("verbale Entgleisung"), statt da einfach einem Individuum einen sehr nötigen Spiegel vorzuhalten.
Auch abgesehen vom Spiegel - Die Sachlichkeit der Aussage ist ja, wie das mit der SED, nicht wirklich bestreitbar, dafür reichen ein paar Geschichtskenntnisse. Die Gestapo wurde 1945 zwangsaufgelöst, das BKA wurde 1951 gegründet - und das Führungspersonal bestand an dem Punkt dann einfach fast vollständig aus hochrangigen ehemaligen Funktionären der SS und der Gestapo.
Selbst 1960 noch hatten zwei Drittel der BKA-Führungsebene eine SS-Vergangenheit. Die Leute, die selbst in der SS und Gestapo waren, wurden nicht etwa nach einer gewissen Zeit entfernt oder so; die sind heute nur deshalb raus, weil sie irgendwann in Rente und gestorben sind. Die hatten dann auch noch lange Zeit, da alles nachhaltig zu gestalten und zu formen.
Strukturen, Doktrinen usw. wurden eh teilweise von Beginn an unverändert von der Gestapo übernommen; teilweise auch Zeug, das bis heute so steht.
Das ist einer von vielen unangenehmen Teilen der deutschen Geschichte, aber es ist nichtsdestotrotz ein wahrer Teil. Die ganzen Nazis sind nicht nach 1945 in Luft verpufft. Promis wie Eichmann wurden natürlich hingerichtet, aber nicht jeder Nazi war Eichmann. Die waren weiterhin alle da, haben weiterhin gearbeitet, hatten weiterhin dieselben Ansichten wie zuvor, aber konnten die halt unter der Besatzung der Alliierten nicht mehr offen ausleben.
Das kann man auch durchaus nicht ignorieren, weil es bis heute sehr greifbare Konsequenzen hat.
Ähnlich wie die Leute sind auch die politischen Ansichten und Ideologien nicht in Luft verpufft. Die ziehen sich weiterhin an vielen Stellen spürbar durchs System und werden auch weiterhin gerne übernommen.
Abermals:
"Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht." - Kurt Tucholsky, 1922
Dazu auch passend:
"Studien zur Polizeigewalt stellen den Rechtsstaat in Frage." - Manuel Ostermann, 2023
Wenn man Polizeigewalt nicht mehr untersucht, gibt es auch keine Polizeigewalt mehr, schon praktisch. Ich musste an Trump denken. Wenn man weniger auf Corona testet, gibt es auch weniger Corona.
Nancy Faeser hat sich dann auch wieder schützend vor Ostermann gestellt. Immer und immer wieder wirft sie sich der AfD und Konsorten mit Kniefall vor die Stiefel. Das ist ja ein bekanntes Phänomen. Die CDU denkt auch, dass sie AfD-Wähler zurückkriegen kann, wenn sie nur selbst immer weiter nach rechts rutscht und Stimmung gegen die politische Mitte und Linke macht.
Mitte-Rechts-Konservative versuchen das immer wieder, überall auf der Welt, und es hat noch nie funktioniert. Es sorgt einfach nur dafür, dass die Partei, an deren Werte sich angebiedert wird, schlussendlich gewinnt. Faesers Rhetorik rutscht jeden Tag noch ein bisschen weiter nach rechts, aber die Leute, die sie damit bauchpinseln will, halten sie eh weiterhin für eine linksgrünversiffte Sozialistin und werden das auch immer tun. Es wird nie genug sein.
Das ist so ein merkwürdiger Take. Die Polizei hat auf einer Pride nichts verloren und ermöglicht auch kein friedliches oder sicheres Fest; historisch und auch in der Gegenwart ist ja vielmehr das Gegenteil der Fall. Ganz davon abgesehen, dass hier ein Auto angegriffen wurde, und Faeser zu denken scheint, dass dieses Auto Frieden und Sicherheit ermöglichen wollte?
Homosexuelle haben heutzutage im Westen deshalb normale Menschenrechte, weil 1969 bei Stonewall die LGBT-Community sich gewaltsam gegen die Polizisten gewehrt hat, als diese kamen, um anwesende trans Frauen wegen illegalen Crossdressings festzunehmen. Die sexuelle Gleichberechtigung wurde in Gang gebracht, weil Ziegelsteine gegen Köpfe geflogen sind. Nichts anderes hatte was verändert. Man kann davon halten, was man will. Die Leute da wären sonst blankweg, wie damals üblich, wegen ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität verhaftet worden. Und daran hätte sich ansonsten auch bis heute nichts geändert.
In den USA gibt es durchaus auch einige Prides, auf denen Polizisten in Uniform gar nicht erst erlaubt sind (funktioniert auch problemfrei), weil das historisch erstens absolut respektlos und tone deaf ist, und zweitens zu oft für völlig unnötige Eskalationen sorgt.
Faeser ist wirklich ein gutes Beispiel für den Unterschied zwischen Leuten, die politisch tatsächlich links sind, und modernen Neoliberalen. Auch wenn das für Leute rechts der Mitte eh alles das gleiche ist. Ich bin da neulich auch auf einen Post auf Reddit gestoßen, der diesen Unterschied wirklich perfekt zusammenfasst.
Die kurdischen Flüchtlinge, die für diesen Deal an Erdogan und seine Arbeitslager ausgeliefert werden mussten, sind auch das erste, woran ich da denke. In Deutschland gibt es echt kaum ein Blatt, dass darüber in irgendeiner Form redet. Auch über die Kurdistan-Thematik allgemein. Die Türkei ist de facto eine Apartheid, und mir kommts echt so vor, als wüsste in Mitteleuropa kaum wer, dass die Kurden überhaupt eine Gruppe sind, die existiert. Geschweige denn, dass die politisch verfolgt werden und dass deren Leben von der Nato wie Schachfiguren für politische Vorteile geopfert werden.
Der Comment drunter ist dann quasi, was Nancy Faeser sagen würde. "Fortress Europe" ist ja eigentlich auch ein politisch rechter Kampfbegriff, aber Neolibs benutzen den heutzutage auch ganz gerne.
//Bezüglich RAF: Ich finds schon, auf rein wissenschaftlicher Ebene, echt wahnsinnig, wie gerne der Begriff heute als diffamierendes Synonym für (auch gefühlt) linke Aktivisten benutzt wird. Gerade, wenn es gegen die Letzte Generation geht, die ja an sich apolitisch ist. "Klima-RAF".
Die Letzte Generation agiert so übertrieben pazifistisch, dass die sich sogar ohne Gegenwehr von irgendwelchen Cholerikern meterweit an den Haaren über die Straße schleifen lässt. Die machen vor ihren Einsätzen Briefings darüber, wie man ruhig bleibt, wenn man körperlich und schmerzhaft angegriffen wird. Wissen die Leute überhaupt, was die RAF war und wie die drauf waren?
Wäre die Letzte Generation wie die RAF, würden die mit Dynamit und Kalashnikovs irgendwelche Privatjets und Energiekonzerne stürmen und die Besitzer als Geißeln nehmen. Und dann vor Gericht Tiraden gegen den Staat und den Richter losfeuern.
Das ist doch mal Terrorismus. Aber sich irgendwo hinsetzen wo es die Leute geringfügig nervt, um auf ein Problem aufmerksam zu machen? Himmel hilf.
Gegen die eine Polizistin, die bisher zwischen der Letzten Generation und der Polizei vermittelt hat, läuft jetzt ja ein Disziplinarverfahren.
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... fee4661c0cOffensichtlich im Gegensatz zu einem Großteil der Cops, die in privaten Nazi-Chatrooms erwischt werden. Auch Ostermann stellt sich nicht schützend hinter sie - merkwürdige Ausnahme an der Stelle; er hat das wahrscheinlich nicht mitbekommen.