Vor einigen Jahren war ich einmal mutterseelenallein bei Nacht und Nebel völlig einsam im Gebirge unterwegs. Ich sah die Hand vor Augen nicht und hatte keine Chance weiterzugehen. Das kam so:
Kurz nachdem ich volljährig geworden war, war ich im Oktober im Gebirge unterwegs. Morgens ging ich ganz normal von Garmisch über Hammersbach und die Höllentalangerhütte und das Matheisenkar auf die Alpspitze. Zurück ging es über die Bockhütte. Als ich wieder im Tal war, hätte ich nur noch eine halbe Stunde völlig problemlos zum Bahnhof gehen müssen. Obwohl ich riesigen Durst hatte, hatte ich aber - wie soll es auch anders sein - noch Bock auf eine Zugabe; also ging ich im Dunklen noch auf den Eckbauer; kurz bevor ich jedoch oben ankam, kam zu meinem großen Unglück Nebel auf. Nun kann man im Dunklen zwar einigermassen gehen, aber wenn Nebel kommt, dann ist alles vorbei; dann sieht man die Hand vor Augen nicht mehr. Das gilt besonders, wenn man im Wald unterwegs ist. Mühsam tappte ich mich im Dunklen dann zum Eckbauer hoch. Hocherfeut sah ich dann plötzlich Licht. Der Berggasthof und die Seilbahn hatten natürlich längst zu; die letzte Talfahrt bei den Seilbahnen ist üblicherweise um 17.00 Uhr. Das Licht kam von einer Privathütte.
Neugierig klingelte ich. Ein junger Bursche (damals genauso wie ich ca. 18 Jahre alt) öffnete. Ich fragte, ob ich etwas zu trinken kaufen könnte. Der Typ staunte nicht schlecht, als er mich da mitten in der Nacht sah. Es stellte sich heraus, dass sich ein paar junge Männer und Frauen zu einer Sauf- und Sexparty auf ihre Privathütte am Eckbauer zurückgezogen hatten. Mit Bergsport hatten die nichts am Hut.
Der Typ war sehr freundlich zu mir: "Komm, feier doch mit uns einfach mit: Du bist eingeladen." Ich meinte, dass ich jetzt noch ins Tal müsste. "Du kannst bei uns pennen, wenn du magst." meinte er. Ich merkte aber sogleich, dass es den Männern und Frauen hier nur um Alkohol und Sex ging. Zu meinem Entsetzen hatten die ausschliesslich alkoholische Getränke da. Der Typ goss mir einen Viertel Liter Weisswein ein. Das war das letzte, was ich in der Situation gebrauchen konnte. Zwar hatte ich riesigen Durst, aber erstens bin ich Antialkoholiker und zweitens ist Bergsport und Alkohol unvereinbar. Ich ging wieder nach draussen und in einem unbeobachteten Moment schüttete ich den Weisswein in die Wiese. Der Typ wollte kein Geld von mir. Obwohl zugegebenermassen sehr hübsche Frauen dabei waren, schlug ich das Angebot mitzufeiern aus. Ich bedankte mich und ging weiter. Fairerweise muss ich sagen, ich schlich und tappste weiter. Meine große Taschenlampe mit 30 cm Länge und 9 cm Durchmesser mit 400 m Leuchtweite fehlte mir jetzt sehr. Allerdings nehme ich die nur mit, wenn ich durch noch im Bau befindliche Eisenbahn- und U-Bahntunnels gehe. Irgendwann merkte ich, dass ich vom Weg abgekommen war und nun ganz alleine irgendwo am Eckbauer in der stockdunklen Nacht im Nebel stand. Ich schaute auf die Uhr: 18.45 Uhr. "Leck mich doch am Arsch." dachte ich mir, "Es wird ja erst in 11,5 Stunden hell. Heute mein lieber Thomas, hast du mal wieder Scheiße gebaut."
Ich begriff, dass ich nun 11,5 Stunden warten musste. Da ich - wie üblich - nur meine dünne Sommerjacke dabei hatte und nur ein kurzärmeliges T-Shirt darunter trug, begann ich nun zu frieren, zumal es jetzt nur noch etwa 0 Grad war. Ich hatte auch irrsinnigen Durst. Mühsam tappte ich nun weiter ohne genau zu wissen wohin. Auf einmal hörte ich ein Plätschern.
Ich ging dem Plätschern nach. Ich war überglücklich, als ich zu einer Kuhtränke kam. Da im Oktober der Almabtrieb längst vorbei ist, konnte ich frohgemut ca. 1,5 Liter Wasser fast in ex saufen; Mensch war das göttlich. Wenigstens war nun dieses Problem gelöst. Nun befand sich die Tränke vor einem Heuschober. Leider war die Holztür abgeschlossen. Nun wäre es für mich kein Problem gewesen die Holztür einzutreten und mich in das Heu hineinzulegen; allerdings beschloss ich die Suppe, die ich mir eingebrockt hatte, auch auszulöffeln. Ich blieb also draussen vor dem Brunnen stehen. Um mich zu wärmen war jetzt Dauerlauf im Stand angesagt. Um Energie zu sparen, atmete ich die Luft in meine Jacke aus.
19.15 Uhr: In 11 Stunden wird es hell, dachte ich mir; in Neuseeland geht gerade die Sonne auf; bis es in Garmisch Partenkirchen soweit ist, dauert es noch ein bisschen. So ging es Stunde um Stunde. Dauerlauf im Stand: In die Jacke ausatmen um Energie zu sparen.
Mein treuster Freund war nun die Uhr. Ich wusste durch sie ganz genau was los ist. Sie gab mir Kraft; sie manifestierte mein Selbstbewusstsein dahingehend, dass alles nach Regeln abläuft. Keine Unberechenbarkeiten; alles verläuft nach Fahrplan!
20.15 Uhr: Noch 10 Stunden; in Sydney geht jetzt die Sonne auf!
Ich begann zu fantasieren und stellte mir vor, wie die Tageslichtgrenze mit 1600 km/h Richtung Westen rast; wenn es nur nicht verdammt weit wäre von Sydney bis Garmisch Partenkirchen.
21.15 Uhr: Noch 9 Stunden. 22.15 Uhr: Noch 8 Stunden; jetzt wird es in Japan hell. 23.15 Uhr: Noch 7 Stunden; jetzt ist Peking an der Reihe.
Es war pervers; ich hatte noch nicht einmal die Halbzeit erreicht, obwohl ich jetzt schon 4,5 Stunden hier Dauerlauf im Stand machte. Immerhin hatte ich genug zu trinken. Der Brunnen plätscherte neben mir fröhlich vor sich hin.
0.15 Uhr: Singapur lässt grüßen! 1.45 Uhr: Jetzt gibt es nette Grüße von einem einsamen Bergwanderer nach Indien!
Meine Psyche orientierte sich jetzt voll auf die Uhrzeit und den mit 1600 km/h nach Westen rasenden Lichtkegel.
Am Holzdach bildeten sich kleine Eiszapfen; es war jetzt etwa -2 Grad. Ich beschleunigte den Dauerlauf. Die Müdigkeit bekämpfte ich dadurch, indem ich meinen ganzen Kopf einfach in die Tränke eintauchte.
3.15 Uhr: Saudi Arabien hätte mir durchaus etwas von der Wärme abgeben können. 4.15 Uhr: Moskau ist erreicht. So ganz allmählich macht sich bei mir Euphorie breit. 5.15 Uhr: Helsinki. Yeeeeaaahhh! rief ich hocherfreut, nur noch eine einzige Stunde! 6.00 Uhr: Jetzt bemerkte ich wie es ganz allmählich heller wurde. 6.15 Uhr: Einer meiner perfektesten Glücksmomente! Die 11,5-stündige Haftstrafe der Natur hatte ich abgesessen. Die Natur erlaubte mir nach Hause zu gehen. Der Nebel war zwar immer noch da, aber da es jetzt hell wurde, konnte ich weitergehen. Ach, du meine Güte! Ich war ja völlig vom Weg abgekommen. Ich musste erst wieder 100 Höhenmeter bergauf gehen um zum Weg zurückzukommen.
Die Müdigkeit war nun wie weggeblasen. Jetzt endlich war ich wieder auf dem Weg. Als ich an der Ortschaft Wamberg vorbei kam, drückte die Sonne den Nebel weg und ich war völlig baff vor Glück, dass ich nun bei strahlendem Sonnenschein meine letzte Wegstrecke nach Garmisch völlig problemlos gehen konnte. Die vergangenen Stunden erschienen mir wie ein böser Traum. Ich summte die berühmteste Polka der Welt das Trompetenecho vor mich hin und war völlig vergnügt.
Um 7.30 Uhr war ich am Bahnhof Garmisch Partenkirchen. Ich rief meine Eltern an. Das Telefon klingelte nur ein einziges Mal und schon war meine Mutter dran. Ich meldete mich und sagte, dass alles ok ist. Sie heulte wie verrückt am Telefon und sagte mir, dass sie die ganze Nacht geweint hätte, weil sie geglaubt hat, dass ich abgestürzt sei.
Ich beruhigte sie und machte ihr klar, dass ich die Panne einfach mit logischen Überlegungen gemeistert hätte. Emotionale Hysterie ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber.
Meine Mutter sagte mir, dass sie sich gerade auf den Weg nach Garmisch machen wollte und bei der Bergwacht Bescheid sagen wollte. Ich witzelte, dass sie das ja nun immer noch machen könnte. Ich sagte ihr, dass ich um 10.00 Uhr zu Hause sein werde. Mensch, was habe ich die Zugfahrt von Garmisch nach München genossen. Bei den Zugkreuzungen in Murnau und Tutzing sah ich, wie viele Wanderer sich auf den Weg in die Berge machten. So ein Zufall, dass ich heute ausnahmesweise einmal antizyklisch fuhr.
Zuhause angekommen, erzählte ich, was passiert war. Mein Vater war stocksauer auf mich. "Das eine kann ich dir sagen", schrie er wütend, "wenn du minderjährig gewesen wärst, dann hättest du dieses Jahr keine einzige Tour mehr machen dürfen!" Ich antwortete: "Dann können wir beide ja froh sein, dass ich 18 bin, denn das erspart uns beiden eine ganze Menge Stress!" Anschliessend stritten wir beide uns darüber, wie groß die Wahrscheinlichkeit gewesen ist, dass ich die Nacht nicht überlebe; in unseren Schätzungen lagen wir mehr als 2 Zehnerpotenzen auseinander. Er tippte auf 10% Todeswahrscheinlichkeit; meine Schätzung war unter 0,1%.
Anschliessend ging ich in die Badewanne. Da bin ich gleich einmal für eine halbe Stunde eingepennt. Genauso wie es die 18-Jährigen auf der Berghütte gemacht hatten, hatte auch ich die ganze Nacht durchgemacht; statt Sex und Alkohol war bei mir Bergsport angesagt, so dass sich unsere Programme geringfügig unterschieden.
Ein anderes Erlebnis im Gebirge war auch gruselig; als ich es erlebte, war ich aber längst in den Dreißigern und schon längst zu Hause ausgezogen:
Ich war mehrmals im Gebirge in ernsten Schwierigkeiten; ich habe ja als begeisterter Bergfex, der im Sommerhalbjahr jedes Wochenende im Gebirge ist, schon etliches erlebt; aber ein Erlebnis war auch für meine Verhältnisse besonders krass. Hier also:
Ich liebe ja Gewalttouren im Gebirge über alles; sehr oft mache ich mir dann einen Gehfahrplan, den ich versuche auf die Minute genau einzuhalten. Wie im Eisenbahnkursbuch notiere ich mir dann die Streckenkilometer und die Ankunfts- sowie Abfahrtszeiten. Wenn alles exakt so läuft, wie ich mir das vorstelle, d.h. ich an den Berghütten und Gipfeln auf die Minute pünktlich eintreffe ist alles ok; wenn nicht, bin ich sauer.
Einmal wollte ich die große Alpspitzrunde machen. Hierzu wollte ich von Garmisch zur Bockhütte gehen und dann über Bernadein, Stuiben, Stuibensee und Oberkar auf die Alpspitze gehen; der Abstieg war über das Höllental geplant.
Gesagt, getan. Bis zur Bockhütte lief alles absolut perfekt; ich hielt den Fahrplan exakt ein. Als ich allerdings immer höher kam, zog sich so ganz allmählich das Wetter zu. Als ich im Bernadein war, fing es an zu tröpfeln; die Gipfel waren alle in Wolken. Ich hätte nun problemlos die Tour abbrechen können, indem ich einfach geradeaus zum Kreuzeck weitergegangen wäre. Von dort aus hätte ich einfach mit der Seilbahn ins Tal fahren und mich in Sicherheit bringen können. Ich hatte mir jedoch vorgenommen, die Tour durchzuziehen und von so ein paar blöden Regenwolken, wollte ich mich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Außerdem gilt mein Standardsatz: "Fahrplan ist Fahrplan, da gibt´s gar nichts!" Obwohl es klar war, dass das Wetter nun kippt, bog ich also nach links ab und ging schnurstraks in Richtung Hochgebirge.
Für meine Uneinsichtigkeit sollte ich jedoch teuer bezahlen! Als ich mich dem Stuibensee, der ganz malerisch auf 1900 m Seehöhe liegt und bei schönem Wetter ein absolut großartiges Ziel ist, näherte, ging alles plötzlich ganz ganz schnell. Innerhalb von Minuten stand ich im Nebel und konnte gerade noch ca. 1 - 2 Meter weit sehen. Der Regen wurde stärker und es kühlte deutlich ab; man nennt so etwas auch Wettersturz! Obwohl es Ende September war, wandelte sich der Regen plötzlich in Hagel um; ich stand da mit meiner dünnen Sommerjacke; das tut ganz schön weh, wenn der Hagel auf den Kopf knallt. Zähneknirschend und stocksauer sah ich dann doch ein, dass es unter diesen Umständen nicht möglich war, die Tour weiterzugehen. Ich hatte nun zwei Möglichkeiten:
Entweder ich gehe zurück; in diesem Fall bräuchte ich 4 Stunden um wieder zurück nach Garmisch zu kommen. Oder aber ich biege nach rechts ab und gehe über den Nordwandsteig zum Osterfelder, von wo aus ich mit der Seilbahn zurückfahren kann: Zum Osterfelder käme ich dann etwa in 1,5 Stunden. Dazu müsste ich aber mitten im Nebel den Abzweig nach rechts finden und zudem muss ich zunächst noch bis auf 2200 m Seehöhe bis zur Alpspitzschulter bergauf gehen, weil erst dort der Nordwandsteig zum Osterfelder erreichbar ist.
Ich entschied mich zum Osterfelder zu gehen, so dass es zunächst noch weiter bergauf ging; da das Wetter erbarmungslos zuschlug, schaltete ich um auf ABSOLUTE VOLLLAST, d.h. ich lief bergauf so schnell ich konnte. Als Bergsportler jagte ich meinen Puls jetzt auf etwa 200.
Auf einmal ein Riesenschreck: Es blitzte! Ein Gewitter im Hochgebirge - dann ist der Spaß SOFORT vorbei! Jedes noch so heftige Gewitter im Flachland ist im Vergleich zum Gewitter im Hochgebirge totaler Kindergartengeburtstag! Gewitter im Hochgebirge bedeutet automatisch absolut höchste Lebensgefahr. Die Wahrscheinlichkeit vom Blitz getroffen zu werden liegt bei ca. 10 - 20 %. Nach dem Blitz schaute ich SOFORT auf meine Funkuhr! Der Donner kam 12 Sekunden nach dem Blitz; da sich der Schall mit ca. 330 Meter / Sekunde bewegt bedeutete dies, dass der Blitz 4 Kilometer von mir entfernt war. Ich lief und lief und lief, doch die Abzweigung kam und kam nicht. Wieder blitzte es; der Donner kam jetzt 8 Sekunden nach dem Blitz: Scheiße, Scheiße, Scheiße! Jetzt war der Blitz nur noch 2,7 Kilometer entfernt! Der Wind haute mir meinen heißgeliebten Bergsteigerhut vom Kopf, so dass ich wutentbrannt 30 Sekunden hinter ihm im Sturm herlaufen musste, um ihn wieder einzufangen! Ich nahm ihn jetzt fest in die Hand und verzichtete darauf ihn erneut aufzusetzen; jetzt knallte mir der Hagel direkt auf meinen Kopf!
Die Wahrscheinlichkeit, dass du hier wieder lebend raus kommst, liegt nur bei 80 - 90% schoß es mir durch den Kopf. Ich wurde nervös, weil ich die Abzweigung nicht sah. Auf einmal riss für einige Sekunden im Sturm die Wolkendecke auf und ein riesiger Schrecken packte mich: Ich hatte die Abzweigung verpasst und lief durch das Grieskar nun schnurstarks auf die Grieskarschrte zu, die in 2461 m Seehöhe direkt auf dem Gipfelgrat zum Alpspitzgipfel liegt. Und Gottes Willen! Am Gipfelgrat im Gewittersturm bei Hagel! Die Wahrscheinlichkeit am Gipfelgrat auf der Eisenleiter getroffen zu werden liegt bei etwa 20% - also absolut höchste Lebensgefahr. Ich war jetzt auf ca. 2350 m Seehöhe mutterseelen allein. Kein Mensch weit und breit. Was tun? Wieder blitzte es; der Donner kam nach 3 Sekunden! Nur noch ein Kilometer war der Blitz entfernt. So schnell ich konnte, lief ich zurück; wieder blitzte es - der Donner kam nach 2 Sekunden; nur noch 660 Meter! Da sah ich ein, dass ich keine Chance mehr hatte dem Gewitter zu entkommen - ich musste mir was anderes überlegen. Da fiel mir das physikalische Gesetz des Faradayschen Käfigs ein; ich musste einen Felsvorsprung finden, wo ich wenigstens ein bisschen geschützt war. Es hagelte nun und goss aus allen Kübeln. Nun sah ich zwar einen kleinen Felsvorsprung - dummerweise floss nun ein kleiner Gebirgsbach dadurch. Du hast keine Wahl, du musst dich in das eiskalte Wasser, was kaum mehr als 14 Grad hat und etwa 20 cm tief war, reinlegen. Ich flüchtete also zu dem kleinen Felsvorspung und lag halb im kalten Wasser. Auf einmal merkte ich, wie sich meine Haare aufrichteten und ich ein unangenehmes Kribbeln spürte. Ein paar Sekunden später sah ich ca. 20 Meter vor mir einen gleißend hellen Punkt und einen Blitzstrahl der etwa 3 cm Durchmesser hatte. Im selben Moment ein so extrem lauter Donnerknall, dass ich dachte, jetzt stürzt die ganze Felswand über mir zusammen. Ca. 20 Meter vor mir sprangen ein paar Geröllsteine einige Dezimeter weit! Ich ächste und drückte mich an die Felswand. Ich bibberte und mein Körper sehnte sich so sehr nach Wärme, die er aber nicht bekam. "Hoffentlich ist das verfluchte, verdammte, scheiß Gewitter endlich bald vorbei!" fluchte ich. Mein einziger Freund war meine heißgeliebte Funkuhr, die mir die Zeit exakt anzeigte! Nun, ich musste noch 20 Minuten, die mir vorkamen wie 20 Stunden, noch in diesem Wasser liegen - dann endlich war das Gewitter vorbei. Bibbernd und erbärmlich frierend schleppte ich mich auf den Wanderweg zurück! Mit weißen Socken war ich morgens gestartet, jetzt waren sie grau/schwarz. Meine Klamotten hatten sich vollgesogen mit ca. 3 Litern Wasser, so dass ich kaum gehen konnte.
Ich rechnete genau nach: Du brauchst jetzt noch gut 4 Stunden bis nach Garmisch; dann dauert es noch einmal 2 Stunden ehe du deine Wohnungstür in München aufschließt; bis du also in der Badewanne sitzt, muss der Körper noch über 6 Stunden frieren und bibbern - lecko mio! Meine Klamotten waren so voll Wasser vollgesogen, dass das Gehen extrem schwerfiel. Aber mein Körper, der ja durch die Gewalttouren im Gebirge im Sommer und durch die exzessiven Saunagänge im Winter einiges gewohnt ist, kämpfte! Irgendwann waren auch die 4 Stunden vorbei; schliesslich stieg ich wie eine halbe Leiche in den Zug nach München ein. Als ich dann in München die Wohnungstür aufschloss, zog ich mich im Hausflur splitternackt aus und legte die Klamotten vor der Wohnungstüre ab. Dann ging ich nackt in die Wohnung um mir eine Plastiktüte zu holen in die ich die Klamotten stecken konnte. Als ich dann im Hausflur nackend die Klamotten in die Tüte steckte, kam meine Nachbarin vorbei. Zuerst guckte sie verdutzt und grüße mich sehr freundlich und amüsierte sich köstlich über mich. "Gab es bei deinem Fahrplan eine Betriebsstörung?" erkundigte sie sich freundlich. "Naja, es lief etwas suboptimal!" antwortete ich etwas verlegen. Am liebsten wäre ich vor Scham in ein Mauseloch gekrochen.
Zu meiner großen Freunde steckte der Körper alles weg - keine Erkältung, keine Grippe; es kam gar nichts. Am nächsten Morgen war alles wieder völlig ok und so wie immer! Nur meine verbeulten Halbschuhe brauchten 4 Tage bis sie wieder trocken waren!
Als ich ein paar Tage später meine Eltern besuchte und ihnen vom Missgeschick berichtete, fielen sie aus allen Wolken. "Hast du denn völlig den Verstand verloren? Wie kannst du denn, wenn du siehst, dass das Wetter umkippt, dann noch ins Hochgebirge rennen?" meinte meine Mutter empört. "Du kennst doch mein Motto: Fahrplan ist Fahrplan, da gibt´s gar nichts!" antwortete ich ihr grinsend!
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