Tödliche Liebe
„Aber Mama, ich liebe Lukas. Ich kann Celal nicht heiraten. Warum verstehst du das nicht?“ Verzweifelt versuchte ich, mich aus dem festen Griff meiner Mutter zu befreien, um wieder zurück zu Lukas laufen zu können, doch sie hielt mich so entschlossen gepackt, das es wenig Sinn machte, sich weiter zu wehren. Sehnsüchtig drehte ich mich noch ein letztes Mal zu Lukas um, bevor mich meine Mutter ins Auto drückte, wo Celal schon auf mich wartete. Als ich neben ihm saß und meine Mutter die Tür geschlossen hatte, fuhr das Auto auch schon los, ohne meine Mutter, die sich nochmal auf den Weg zu Lukas machte. Vermutlich, um ihm zu sagen, das er gefälligst die Finger von mir lassen soll. „Schau ihn dir gut an, Leyla. Es wird das letzte Mal sein, das du ihn siehst“, sagte Celal, als er meinen Blick nach draußen bemerkte und strich mir dabei zärtlich über die Haare. Ich schlug seine Hand weg, versuchte, ihn nicht ansehen zu müssen und drehte mich von ihm weg. Ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie sehr mich das alles verletzte. Vor allem aber wollte ich nicht, dass er meine Tränen sah, die nun langsam über meine Wangen liefen. Celal murmelte etwas, das sich so anhörte wie Schlampe und schlug verärgert gegen die Fensterscheibe. Ich schloss die Augen und versuchte, mich auf die schönen Momente mit Lukas zu konzentrieren, die wir in den letzten Monaten hatten, bevor meine Familie durch den Spitzel von Celal davon erfahren hatte. Ich hatte ein Jahr in Deutschland studiert und es hatte mich einige Überzeugungskraft gekostet, meine Familie und Celal zu überreden, das machen zu dürfen. Ich kannte Celal seit ich klein war, wir waren immer durch dick und dünn gegangen, waren sowas wie Geschwister und für meine Eltern war es immer klar gewesen, das ich ihn irgendwann mal heiraten würde. Noch dazu kamen unsere ganzen finanziellen Probleme, die sich durch mein Studium noch verdreifacht hatten, aber durch die Verlobung mit ihm, waren sie plötzlich alle verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben. Celal war ein reicher Geschäftsmann. Er hatte das gut laufende Teppichgeschäft seines Vaters übernommen und kannte die größten Machthaber der Türkei. Und ich? Ich war nur ein kleines, unbedeutendes Mädchen, das sich von den Eltern zwangsverheiraten lassen musste, damit sie ein glückliches, unbeschwertes Leben leben konnten. Ich war so froh darüber gewesen, in meinem Studiumsjahr in Deutschland endlich mal Abstand von der Türkei gewinnen zu dürfen und von all den Problemen, die dort auf mich warteten. In Deutschland war einfach alles besser. Jeder konnte dort tun und machen was er wollte und so leben, wie er es für richtig hielt. Und genau das hatte ich so sehr ausgekostet in meiner Zeit hier und ich war so glücklich darüber, Lukas kennen gelernt zu haben. Lukas, dachte ich. Es tut mir so Leid. Ich wollte nicht, dass das alles so kommt, dass du das so miterleben musstest. Ich konnte ja nicht ahnen, dass mein eigener Verlobter mich beobachten lässt während ich hier bin. Ich hätte dir einfach von Anfang an die Wahrheit sagen sollen. Ich will gar nicht daran denken, was du jetzt, nach dieser Aktion wohl von mir denkst.
Zu meiner Überraschung fuhren wir nicht zum Flughafen, sondern zu einem der Besten Hotel’s Berlins. Der Wagen hielt an, natürlich direkt vor dem Haupteingang, Celal sprang raus und öffnete mir die Tür, ich stieg aus und lies mich von ihm hinein führen. Als er sah, das meine Augen immer größer worden, vor lauter Unfassbarkeit über diesen Luxus, der hier herrschte, lächelte er und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ich ließ es widerwillig über mich ergehen. Es fühlte sich so falsch an, einfach nicht richtig. Alles was ich wollte war zurück zu Lukas. Wir checkten ein und stellten unsere Koffer in einer der größten Suites, die das Hotel zu bieten hatte ab. Der Ausblick aus den Fenstern war atemberaubend. Wir konnten fast über ganz Berlin schauen. Celal schaute mich an und umarmte mich. Dann fing er an, mich zu küssen, legte mich sanft auf das Bett und versuchte mich auszuziehen, doch ich wehrte mich dagegen. Plötzlich schlug er auf mich ein, ich schrie vor lauter Schmerzen auf und hielt schützend die Arme über mich. „Lass mich in Ruhe“, rief ich und fing an zu schluchzen, so laut und qualvoll wie ich nur konnte, in der Hoffnung, er würde Mitleid empfinden und aufhören. Ich hatte Glück, er begriff, was er mir da eben angetan hatte und griff sich fassungslos an den Kopf, ging zum Fenster und schnappte sich schließlich seine Jacke und verließ das Zimmer. Mich ließ er immer noch weinend zurück. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war oder wie spät es war. Aufjedenfall schon später, was mir der Blick aus dem Fenster verriet. Mittlerweile hatte die Nacht alles verschlungen und die Dunkelheit lag beängstigend vor den Fenstern. Ich musste über das weinen eingeschlafen sein. Benommen sah ich mich um. Celal schien immer noch nicht wieder da zu sein, aber das machte mir nichts aus. Meinetwegen konnte er für immer weg bleiben, von einem Auto überrollt werden. Es war mir egal. Mittlerweile hasste ich ihn nur noch. Das schlimmste war nämlich nicht, dass er mich überwachen hatte lassen. Nein. Das schlimmste war, das er mich geschlagen hatte. Langsam stand ich auf, ging ins Bad, wusch mir das Gesicht und mied es, in den Spiegel zu sehen. Ich konnte es nicht ertragen mich so zu sehen, so zugerichtet. Als ich mich gerade umziehen wollte, bemerkte ich plötzlich das Blinken meines Handys. Ich nahm es und öffnete die Sms. Als ich kapierte, von wem die Nachricht war, musste ich unwillkürlich lächeln. Mit einem breiten Grinsen, las ich seine Nachricht:
Du musst nicht bei ihm bleiben. Du kannst frei sein, wenn du willst. Komm zu mir, bleib bei mir, bitte. Wir können das Land verlassen, irgendwo neu anfangen. Und Süße, ich versprech dir, dass dir niemals etwas passieren wird, solange ich bei dir bin. Du hast die Wahl. Ich warte auf dich, bis morgen früh um neun. In Liebe, dein Lukas.
Ach, Lukas. Seufzend ließ ich mich auf dem Rand der Badewanne nieder. Aber er hatte Recht. Aus Liebe zu meiner Familie musste ich mir mein Leben nicht kaputt machen lassen. Auch wenn diese Entscheidung womöglich mein ganzes Leben verändern und ich meine Eltern wahrscheinlich nie mehr wieder sehen würde, musste ich es einfach tun. Ich musste zu ihm. Ich musste mich gegen diese Zwangsheirat wehren, mit allen Mitteln. Und wenn ich…. Nein, diesen Gedanken schob ich schnell beiseite, schnappte mir meinen noch nicht ausgepackten Koffer und verließ das Hotelzimmer. Hoffentlich begegnete ich Celal nicht, lief es mir immer wieder durch den Kopf. Ich ging so schnell ich konnte Richtung Ausgang und fiel dabei fast über meine eigenen Füße. Ich achtete nicht sonderlich viel auf die Leute, die mir entgegen kamen und war froh, ein Taxi vor der Tür des Hotels stehen zu sehen. Zehn Minuten später stand ich dann bei ihm vor der Wohnungstür, wollte gerade klingeln, als ich bemerkte, dass die Tür angelehnt war. Komisch, dachte ich. Lukas hat doch sonst nie einfach die Tür offen stehen lassen. Langsam schob ich die Tür auf, betrat vorsichtig den Wohnungsflur und schaltete das Licht an. Alles war ruhig. Niemand schien da zu sein. Vielleicht war er noch schnell was einkaufen oder nur mal kurz zu seinem Nachbar auf der anderen Straßenseite gegangen. Aber selbst dann schloss man doch die Haustür ab. Oder, er hat sie für mich offen lassen, damit ich nicht klingeln musste und niemand mitbekam, was hier los war, aber das…. „Oh mein Gott, Lukas!“, schrie ich und schlug mir fassungslos die Hand vor den Mund. „Lukas, was ist passiert? Wer war das?“ Fragend sah ich ihn an, hockte mich neben ihn auf den Boden, legte seinen Kopf in meine Hände, die sofort blutrot wurden. „Scheiße, wir brauchen einen Krankenwagen, wo ist mein verdammtes Handy?“ Plötzlich fasste mich Lukas an den Händen und sah mich Todernst an. Ich begriff nicht, was er mir damit sagen wollte, aber in dem Moment war es mir auch ziemlich egal. Ich wollte nur noch eins: Endlich ein verdammtes Handy finden. Schnell befreite ich mich aus seinem Griff, lief durch die Wohnung, um nach einem Handy zu suchen, bis mich plötzlich jemand ruckartig nach hinten riss und mir die Hand auf den Mund gepresst wurde. Ich wurde den Boden und mein Kopf nach hinten gedrückt, sodass ich meinen Gegner ansehen musste und erschrak. Erst jetzt wurde mir bewusst, was Lukas mir mit seinem Blick vorhin sagen wollte. Es war ein Warnsignal gewesen und ich hatte es nicht verstanden. „Celal“, schrie ich. „Lass mich los“. „Nein, du miese kleine Hure, ich werde dich nie wieder los lassen. Du gehörst mir verstehst du das?“ „Ich gehöre niemandem, kapiert?“ Ich nutzte seine Verwirrtheit aus, er war es nicht gewohnt, dass ich ihm Wiederworte gab, das war vor meiner Deutschlandzeit nie so gewesen. Ich schlug ihm zwischen die Beine und rannte in die Küche. Ich musste irgendwas finden, was in außer Gefecht setzen, oder vielleicht sogar umbringen würde, so schnell wie möglich. Ich riss alle Schubladen auf, fand ein gutes Küchenmesser , schnappte es mir und rannte damit auf Celal zu. Mit Tränen in den Augen und ohne groß zu überlegen stach ich einfach auf ihn ein, immer weiter, obwohl ich ihn eigentlich nur außer Gefecht setzen wollte. Als ich begriff, was ich da gerade getan hatte, ließ ich das Messer fallen und lief zu Lukas. „Lukas, es wird alles gut. Wo ist dein Handy? Luuuuuuuukaas??“ Weinend brach ich neben ihm zusammen, als ich ihn reglos auf dem Boden liegen sah. „Süße, geh! Schnell!“, stammelte er plötzlich und versuchte, mich dabei noch ein letztes Mal an zulächeln. „Nein, ich lass dich nicht allein.“ „Doch, du musst..“ Er beendete seinen Satz nicht mehr, seine Augen wurden starr und er aufeinmal ganz kalt. Zitternd stand ich auf und ging rückwärts Richtung Tür, an dem sterbenden Celal vorbei. Dann rannte ich los, immer weiter, so schnell ich konnte der Freiheit entgegen. Nichts würde mich dazu bringen, jemals wieder hierhin oder in die Türkei zurück zukehren. Das Thema war für mich ein für allemal gegessen, noch dazu weil mich hier in Deutschland einfach alles an Lukas erinnern würde. Ich würde irgendwo in Amerika ein neues Leben anfangen, ein Leben in Freiheit, wo mich niemand finden konnte und wo ich endlich mein Leben so leben konnte, wie ich es für richtig hielt.
Zehn Jahre später konnte ich sicher sagen, dass das wirklich die Beste Entscheidung meines Lebens gewesen war, mich nach Amerika abzusetzen. Mittlerweile hatte ich einen tollen, neuen Mann an meiner Seite, zwei wundervolle Kinder und ein tolles Haus mit Garten. Doch Lukas würde immer einen Teil in meinem Herzen haben, egal wie glücklich ich sein mochte.
Zuletzt geändert von Der_Pate am Do 23. Mai 2013, 23:42, insgesamt 1-mal geändert. |
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