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[1. GW] Memoirepitaph (Leprechaun)
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Autor:  Brexpiprazole [ So 1. Mär 2015, 20:14 ]
Betreff des Beitrags:  [1. GW] Memoirepitaph (Leprechaun)

Memoirepitaph

Es war einmal...
Setz dich jetzt nieder und lausche - wenn du magst,
ich erzähle dir eine Geschichte.
Es war ein Mann,
er hatte müde Glieder, war gehetzt, Gedanken getüncht in weißem Rauschen - die meisten hätten sich beklagt,
jedenfalls, in früheren Zeiten schrieb er Gedichte.

Hin und wieder saß er am Meer,
summte dort textlose alte Lieder.
Deren Verse zu finden genoss er sehr,
besonders in diesen sternlosen Nächten,
am Himmel zu sehen war dann nur der Flieder.
So begann er zu dichten:

Wie oben, so unten.
Die Wolken spiegeln Wasser matt,
See birgt was schon längst versunken,
unter schwarzer Fläche glatt.
Aus der Düsternis entsteigt die Kuppel,
Wassers Haut zerbirst wie Glas,
es bricht hervor Palast so alt,
den Horizont als Maß.
Es musste kommen wie es kam,
denn so betrat ich Welt so kalt.

Dann manchmal auch ging er auf Reisen,
Tinte und Feder als Geistes Proviant.
Eins seiner Ziele war einst der Berg,
und geführt allein vom Stenz in der Hand,
stieg er höher, höher und lies dabei die Gedanken kreisen.
Am Fuße des Gipfels wollte er verweilen,
im Angesicht der Klüfte nurmehr ein Zwerg,
blickte er liegend zur Spitze und schrieb seine Zeilen:

Lindwurms Augen bohren langsam,
mahlend durch was Mensch nur ahnt.
Gebeine, Dracos, längst verschmolzen,
mit des Steinwalls kalter Wand.
Die Zeit fängt alles, auch den Stolzen,
einst verbittert, ungestalt,
bald verwittert, ewig einsam.
Wie kommt es nun dass nach wie vor,
der Feuerblick ins Leere starrt?
Als wähne er am Rand des Seins ein Tor.

Dann zum Ende seines Lebens,
er war nun alt und längst ergraut,
war er müde allen Strebens,
kaum Wohl fand er in seiner Haut.
Da saß er unsichtbar, erstummt,
die Hände zitterten, Gesicht vermummt.
Müßig seines schweren Jochs,
ein letztes Mal schrieb er noch:

Wachend modert sie im Schatten.
Lachend brodelt Unheil heiß.
Wieviel sie sieht, wieviel sie weiß,
von allen Reisen, allen Taten?
Das Rätsel gleicht dem Holz im Wald:
Es arbeitet.
Ich gehe bald.
Ob es sich bewahrheitet?

Gut, ich muss gestehen, die letzte Dichtung war dies nicht,
in Blut, Schweiß und Tränen hatte er einen Abschluss verfasst.
Am Schluss zwar dünn wie Papier und beschrieben von den Lebenswunden,
aber Poet bleibt Poet, die Inspiration hatte er wiedergefunden.
Es war einmal...
Ich war er? Er war ich.
Wie mans beendet bleibt eigene Wahl.
Danke, dass du stehen bliebst, dir meine Grabinschrift durchgelesen hast.

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