Nach interessanten Tagen habe ich ja sehr häufig das Bedürfnis meine Erlebnisse niederzuschreiben (meistens wandle ich in meinem Kopf sowieso schon automatisch viele meiner Erlebnisse in fertige Formulierungen um), aber ich konnte mich bisher nur einmal überwinden selbiges zu tun. Es gab danach und auch auch davor deutlich interessantere Tage, aber so ist das bisher meine erste und einzige "Kurzgeschichte", die ich, direkt nachdem ich von meinen Abenteuern heimkam, anfing, in einem anderen Forum niederzutippen.
Dienstag, 20. Dezember 2011
Mein Tag heute war irgendwie ziemlich merkwürdig; wenn man das so sagen darf. Besonders anstrengend oder frustrierend war er nicht, aber ein paar Aufreger (hauptsächlich über typische Wohlstandsprobleme) waren dabei - und ein paar Lacher und (Wieder)Entdeckungen ebenfalls. Und weil ich das Bedürfnis verspüre, ein wenig darüber zu schreiben, stopf ichs mal hier rein; egal obs vollständig passt oder nicht.
Ich hab aktuell was mit ner Zeitarbeitsfirma am Laufen zwecks nem Aushilfsjob. Diesen Donnerstag habe ich erstmal einen Tag Probe bei einer Firma, die 10.000 Kilometer weit weg und für mich nur per mehrstündiger Zugfahrt zu erreichen ist - nervig; aber was will man machen. Erstmal diesen Tag gewissenhaft absolvieren, und dann vielleicht schauen, ob sich noch was ändern lässt. Ne Ausbildung krieg ich wohl in hundert Jahren nicht mehr; und auch gescheite Aushilfs- und Nebenjobs sind irgendwie bei weitem nicht so einfach zu kriegen, wie es einem die ganzen Berater, Prospekte und Webseiten weismachen wollen. Zumindest für mich nicht.
Wie auch immer; die Sekretärin besagter Zeitarbeitsfirma hatte gesagt, dass ich diese Woche einfach nochmal schnell unangemeldet auftauchen sollte, um ein paar Arbeitsklamotten abzuholen. Ich hatte mir das fest für heute 14 Uhr vorgenommen; weil ich letzte Woche um dieselbe Zeit bei ihr war, und daher wusste, dass sie um diese Zeit wohl da sein würde. Man muss dazu sagen, dass besagte Sekretärin dazu neigt, ständig irgendwelche Termine und Straßennamen erstmal falsch wiederzugeben, oder solche Fakten völlig zu vergessen, weil sie damit beschäftigt ist, unwichtiges Zeugs 50 mal zu wiederholen, als ob ihr Gesprächspartner bescheuert wäre. Man muss also immer genau den richtigen Moment abpassen, um ihren Redefluss zu unterbrechen und das zu erfahren, was man eigentlich will. Das darf weder wie eine unhöfliche Unterbrechung wirken, noch zu spät kommen - man muss sie wie gesagt immer mehrmals fragen; da ihr kurz darauf einfällt, dass sich der Name der Firma, zu der ich muss, eigentlich völlig anders buchstabiert.
Außerdem hat sie die Angewohnheit ständig um Rückrufe zu bitten, und dann aber am nächsten Tag selbst mitten in der Nacht zurückzurufen, und zu fragen, ob es irgendwelche Probleme gibt. Ich schwöre; ich bin noch nie dazu gekommen, diese Frau selbst anzurufen. Obwohl ich mir Mühe gegeben habe. Das einzige Mal war als sie zum ersten Mal um Rückruf gebeten hatte - als ich dann bei ihr anrief, ging nur ne Vertretung ran, die sagte, dass die Frau erst morgen wieder zurück sein würde. Bevor ich dann am nächsten Mittag anrufen konnte, hatte sie mich schon aus dem Bett geklingelt. Ein sehr ungeduldiger Mensch, wie mir scheint.
So auch heute. Ich wollte ja wie gesagt um 14 Uhr bei ihr vorbeikommen (Sie sagte Montag, Dienstag, Mittwoch) - und dann weckt sie mich wasweißichwievieluhr in der Nacht auf, mit der Frage, wann ich denn vorbeikommen wollte. "Wollte eigentlich heute um 14 Uhr noch kommen" - "Gut, ich schreibs mir auf." - Herrgott, das muss doch klingen, als ob ich das Ganze vergessen hätte und mich jetzt schnell rausrede. Ich hasse das. Außerdem muss man bei sowas, üblicherweise ist man dann noch im Halbschlaf, immer so tun als ob man schon wach gewesen wäre, und hat nie ne Ahnung, ob es glaubhaft rüberkommt oder nicht. Sie fragt mich, ob es geschneit hat. Ich sehe zum ersten Mal an diesem Tag aus dem Fenster - ja, es hat geschneit. Meine Fresse; und wie. Da besagte Sekretärin einer dieser Menschen ist, bei denen man mindestens zehn Minuten braucht um sich loszueisen, ist an ein Weiterschlafen nicht mehr zu denken. Ich hocke mich vor den Computer, und hoffe, dass sie nicht nochmal anruft.
Die Zeit vergeht recht schnell; erstens mal natürlich weil ich internetsüchtig bin *hust*, und zweitens mal weil ich früh los muss - ich muss den Bus nehmen; bei dem Wetter kann ich als miserabler Neufahrer, der ich bin, nichtmal ans Autofahren denken. Später wird sich noch zeigen, dass das eine gute Entscheidung war. Ich ziehe zum ersten Mal seit langem wieder meinen langen Mantel (ich nenne ihn meinen "Exhibitionistenmantel") an, und stelle fest, dass ich abgenommen habe.
Ich muss erstmal die schneebedeckte und rutschige steile Straße vor unserer Wohnung hochlaufen - weil der Gehweg noch viel schneebedeckter ist. Auf der Straße war heute morgen immerhin irgendwannmal so ein Räumwagen. Irgend so ein Goth, den ich hier noch nie gesehen habe, grüßt mich. Weil er freundlich ist - oder weil er mich mit dem schwarzen Hut, der schwarzen Hose, den schwarzen Schuhen und dem schwarzen Mantel sowie meiner schwarzen Seele; wuhaha als Gesinnungsgenossen identifiziert? Bei zweiterem hat er Glück, dass er mein knallrotes Hemd nicht gesehen hat.
Ich grüße zurück, und versuche dabei, nicht auf die Fresse zu fallen.
Ich komme noch pünktlich an die Bushaltestelle; sehr gut. Der Bus ist noch nicht da. Ich lausche derweil der klischeehaftesten "früher war alles besser"-Unterhaltung von zwei Omas, die ich je gehört habe. Ich zitiere: "Wo ich jung war, wussten wir noch nichtmal, was eine Schneeschaufel ist. Da mussten wir so durch den Schnee laufen, oder unsere Hände benutzen" Die andere Oma nickt huldvoll und fängt an, über die deutsche Wirtschaft zu sprechen. Oder zumindest über das Bisschen, was sie davon verstanden zu haben glaubt.
Schneeschaufeln, ha? Kaum zu glauben, was die Hochtechnologie in den letzten 150 Jahren, in denen diese Frau vermutlich auf der Welt war, alles vollbracht hat.
Der Bus verspätet sich mittlerweile. In der Zwischenzeit kam sogar schon ein anderer, und ich beginne mich zu fragen, ob meiner überhaupt noch kommt. Da ich ja eigentlich unangekündigt in der Zeitarbeitsfirma auftauchen wollte macht so ne Verspätung eigentlich nichts; aber da ich nun um 14 Uhr erwartet werde, lege ich mir schonmal Ausreden zurecht. Und da kommt der Bus - fette 20 Minuten zu spät. Ich sage dem Fahrer "Sie haben sich etwas verspätet." Er sagt "Jep."
Sarkasmus eint.
Er rast dann wie eine gesengte Sau los und ich bin froh, dass ich einen Sitzplatz bekommen habe. Ein paar Haltestellen später klopft dann eine Frau an die Scheibe, die noch einsteigen will. Der Fahrer ignoriert sie und fährt weiter. Und glaubt mans - die Frau rennt tatsächlich bis zur nächsten Bushaltestelle, und kommt wegen den ganzen Mini-Staus sogar vor dem Bus an. Respekt, Respekt. Der Busfahrer schnauzt sie nun an, weil sie an seine Scheibe geklopft hatte. Hat er sie also doch bemerkt. Er fährt weiter und regt sich lautstark und in kräftigem polnischem Akzent auf, weil er sowieso schon spät ist. Ich bin kurz davor "Halt die Fresse und konzentrier dich aufs Fahren" nach vorne zu schreien; überlege dann aber, was wohl Fluttershy dazu sagen würde. Confound those Ponies...
Also bin ich still und höre zu, wie sich die Frau und der Fahrer noch ne Minute lang streiten. Wenigstens wirds nicht langweilig.
Ich komme dann um 14 Uhr 10; also doch noch relativ pünktlich, bei der Zeitarbeitsfirma an. Die Eile hätte ich mir sparen können; die Sekretärin schwallt gerade irgendeinen anderen Bewerber voll. Mit im Wartezimmer sitzen zwei menschliche Barbiepuppen. Im Lager wollen die doch ganz bestimmt nicht arbeiten. Drückende Stille. 15 Minuten später kommt die Sekretärin raus, sieht mich, und ruft mich rein. Sie fragt mich nach meiner Schuh- und Hosengröße. Woher soll ich das denn wissen; seh ich aus wie Bruno Banani?
Die Schuhgröße überprüfe ich schnell anhand meiner eigenen Schuhe; die Hosengröße schätzen wir einfach. Die Sekretärin scheint sich diebisch zu amüsieren. Sie bringt dann eine Auswahl an Arbeitsklamotten; das zweite paar Schuhe passt, und das dritte paar Hosen dann auch. Die ersten beiden Paare waren mir zu eng. Sie hat mich dünner geschätzt als ich bin. Glaubt man das?
Nachdem sie mich noch weitere zehn Minuten vollgeschwallt hat, darf ich wieder gehen. "Sie sind mir wirklich sehr symphatisch." "Sie scheinen ja sehr intelligent zu sein." beim Abschied: "Oh, der Hut steht ihnen aber."
Yikes. Ein wenig mehr professionelle Distanz dürfte es schon sein. Flirtet die mit mir? Die muss doch mindestens dreimal so alt sein wie ich.
Sie sagt, ich solle gleich nach dem Probetag bei ihr anrufen. Ja, Pustekuchen. Ich weiß doch eh, dass sie es nicht abwarten können und selbst anrufen wird. Bei manchen Menschen bin ich sehr froh darüber, kein Handy zu besitzen. Permanente Erreichbarkeit ist ne gruselige Vorstellung.
-- (Fortsetzung folgt) --
-- (Fortsetzung) --
Das war dann also schon das eigentliche Event; nun kommt wieder die Rückreise dran. An der Bushaltestelle sehe ich, dass ich noch 20 Minuten warten müsste. Ich stapfe also durch den Schnee zur nächsten Haltestelle, weil ich mich langweile. Ich hatte zwar extra dran gedacht ein Lustiges Taschenbuch mitzunehmen; aber das kann ich nicht rausholen, weil es sonst vom Schnee kaputt gehen würde.
An der nächsten Bushaltestelle sinds noch immer 18 Minuten. Verdammt; ich laufe zu schnell. Ich gehe in den Süßigkeitenladen, in dem ich schon seit Jahren nicht mehr war - und stelle fest, dass er zu nem Esoschuppen geworden ist. Lustig; wusste gar nicht, dass es bei uns sowas gibt. Ketten, Steine, Bücher, CDs, DVDs... und tatsächlich noch ein Überbleibsel von früher; ein Regal Gummibärchen. Die regen vermutlich das Magenchakra an, oder wie man das auch nennt.
Langsam krieg ich aber Angst, weil mich die Verkäuferinnen so gruselig anstarren, und versuche einen Moment abzupassen, um den Laden zu verlassen während sie nicht hinsehen. Ach, scheiß drauf. Draußen streut ein älterer Mann Kies und pfeift dabei. Ich gehe raus, tänzle ein wenig rum, und pfeife ne Minute mit ihm zusammen. Er freut sich und grinst; alle anderen gucken blöd.
Dann gehe ich zur Bushaltestelle und setzte mich ein wenig. Die Stahlkappenschuhe in meiner Tasche werden langsam sauschwer. Ich sollte vielleicht - KLONK!
An der Kreuzung ist ein Auto von hinten in ein anderes reingerauscht. Die Fahrer steigen gerade aus, als noch eins hintenreinrauscht - und kurz darauf noch eins. Ein Auffahrunfall mit vier Autos. Die Fahrer scheinen alle unverletzt; und kurz darauf kommt schon ein Auto mit Sanitätern; wohl erstmal zur Vorsorge. Drei der Fahrer scheinen wohl unter Schock zu stehen (ich stehe währenddessen auf der anderen Straßenseite; noch immer auf den sich langsam verspätenden Bus wartend) und werden von den Sani-Typen betreut. Kurz darauf kommen zwei richtige Krankenwagen; und einer der Autofahrer wird drinnen untersucht. Man muss schon sagen; die hiesigen Sanis sind verdammt flink. Aber gut; das Krankenhaus ist auch nur 10 Fahrminuten entfernt.
Ah, da kommt mein Bus. Wieviele Leute kann man in einem Bus zusammenstopfen, bevor der Bus explodiert? Ich weiß es nicht; aber der Fahrer dieses Busses scheint es ausprobieren zu wollen. Ich versuche erst gar nicht, einzusteigen. Die Ärsche der Leute hängen aus der Tür raus, die sich deshalb nicht richtig schließen kann – trotzdem kommt dann so eine scheinbar hochintelligente Frau, die versucht sich noch hinterherzuquetschen. Ich amüsiere mich lautstark. Ein hübsches Mädchen grinst mich an; alle anderen gucken böse. Ach, ist doch wahr.
Bis der nächste Bus kommt, dauert es wieder 20 Minuten. Ich gehe also einfach nochmal ne Haltestelle weiter. Von mir aus bis ganz zu mir nach Hause; dauert ja nur eineinhalb Stunden und wäre auch nicht das erste Mal. Kurz vor der nächsten Haltestelle ist dann der DVD-Verleih in dem ich schon ewig nicht mehr war. Die Gelegenheit darf ich mir natürlich nicht entgehen lassen; und vielleicht gibts dort noch immer diesen Stand mit ein paar gebrauchten DVDs für billig.
Gibts tatsächlich. Ich nehme Illuminati und Punisher: War Zone (Ungekürzt!) mit; zusammen sechs Euro. Und es gäbe noch viel mehr gutes Zeug zum Wegschmeißpreis. Ich muss demnächst unbedingt nochmal mit mehr Geld da hin; mehr hatte ich nämlich gerade nicht mehr. Die Kassiererin fragt mich nicht nach meinem Ausweis. Mittlerweile ist wohl endgültig die Zeit vorbei, in der man mich noch zumindest für einen frühreifen Siebzehnjährigen halten könnte. Deprimierend. Irgendwie hoffe ich noch immer jedesmal, dass man mich nach meinem Ausweis fragt – obwohl das eigentlich schon seit ich 15 bin kein Verkäufer mehr gemacht hat. Trotzdem; definitiv das Highlight des Tages. Das gibt nen gemütlichen Filmeabend.
Ich laufe nun einfach zur übernächsten Haltestelle, der am hiesigen Marktplatz; in der Hoffnung, dort auf jeden Fall einen Bus zu erwischen. Gelegentlich trifft man hier alte Klassenkameraden von früher, und lächelt ihnen kurz höflich zu. Dabei fühlt man sich dann, als ob man uralt wäre. Heute bleibt mir das erspart. Nicht erspart bleiben mir aber die zwei Türken neben mir, die sich lautstark über Analplugs und Analdehnung unterhalten, und darüber, wie begabt ihre Freundinnen mit Umschnalldildos sind. Herrgottnochmal; das Kopfkino geht nicht mehr weg. "Orgasmusgarantie" - meine Güte, was für glückliche Kerlchen das nur sein müssen.
Da beschweren sich die Leute, dass unsere armen Kinder nur in den Medien ständig mit Sex konfrontiert werden würden. Ich hätte mir in diesem Moment nichts lieber gewünscht, als einen Strikt-Filter für die Realität. Nicht dass ich Vorurteile gegen bullige Türken mit tiefen Stimmen oder Umschnalldildos hätte... aber beides kombiniert wirft mein argloses Kleinstadthirn dann doch aus der Bahn.
Wie auch immer; der Bus kommt. Mittlerweile bin ich leicht verschnupft und die Schuhe werden auch nicht leichter. Diesmal kein Sitzplatz. Dafür wieder Rambazamba. Wegen dem Weihnachtsmarkt muss der Bus eine etwas andere Route fahren; und einige scheinen das nicht zu wissen. So ein Typ geht nach vorne zum Busfahrer und droht ihm mit ner Anzeige. Einschaltung der Obrigkeiten; des Deutschen Antwort auf Alles. Der Busfahrer bleibt ruhig und souverän; völlig anders als der von vorhin. Der Typ steigt dann stumm an der nächsten Haltestelle aus.
Später, an der Haltestelle in der Nähe der hiesigen Grundschule, steigen dann die ganzen Grundschulbälger zu; Mittagsschule oder sowas vermutlich. Auch das hab ich seit meiner Realschulzeit nicht mehr erlebt. Die Nostalgie wird aber dadurch gedämpft, dass man voll damit beschäftigt ist, zu verhindern, dass die Bälger einem ihre Schulranzen, Ellenbogen und sonstigen Körperteile im Übereifer einen Platz zu kriegen ins Gemächte rammen.
Glücklicherweise kommt dann doch noch meine Haltestelle. Ich erinnere mich noch daran, wie man sich am effektivsten eine Schneise durch die Bälger pflügt, und schaffe es noch rechtzeitig raus. Der Weg den rutschigen Abhang runter ist nicht gerade einfacher als der Weg rauf; aber auch den schaffe ich ohne hinzufallen. Wenn der Winter anfängt, time ich immer wie lange es dauert, bis ich das erste Mal auf die Schnauze falle. Hoffentlich kann ich den Rekord von letztem Jahr überbieten.
Ich komme dann endlich heim, und habe nichts Besseres zu tun, als bis jetzt diesen Text hier zu verfassen. Ich werde dabei nur von drei Anrufen und einem klingelndem Nachbarn unterbrochen; nicht schlecht. Die Sekretärin war bis jetzt nicht dabei; scheinbar hat sie diesmal nichts vergessen. Hoffen wir das Beste.